Der Schreck hielt sie noch einige Sekunden lang in einer Schockstarre gefangen, dann bewegte sich ihr Körper wie von selbst zu dem noch immer leicht bebenden Pfeil. Ihre Beine kribbelten, als wären sie gerade aus einer unangenehmen Verkrampfung erwacht und ihr Atem hatte sich fast unmerklich beschleunigt. Die Spitze hatte sich gute fünf Zentimeter in das morsche Holz des kleinen Gartenhäuschens gegraben und Ellie wollte sich gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn sie nur einen Meter weiter rechts gestanden und der Pfeil ihre Brust getroffen hätte.
Eine Gänsehaut kroch trotz der milden Nacht ihre zitternden Glieder hinauf und sie biss sich auf die Unterlippe, um sie vom Beben abzuhalten.
Hatte es etwa noch jemand auf sie abgesehen?
Noch einmal versicherte sie sich mit einem raschen Rundblick über das Fabrikgelände davon, auch wirklich vollkommen allein zu sein, bevor sie dem Zaun ihren Rücken zukehrte. Doch sie war nach wie vor die Einzige, die zu so später Stunde noch draußen unterwegs war. Nur hie und da flackerte ein einzelnes Licht hinter einem der vielen Fenster auf oder der Wärter des Haupttors räusperte sich so geräuschvoll, dass es bis über einen halben Kilometer zu hören war.
Für einen Augenblick erwog Ellie die Möglichkeit, dass er den Pfeil auf sie losgesandt haben könnte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Welchen Nutzen sollte er denn daraus ziehen, wenn sie offensichtlich nicht in der Lage war, vor ihm davonzulaufen? Wozu einen Pfeil verschwenden, wenn er sie einfach... wieder hinein bringen könnte? Und wieso machte der Schütze nicht anderweitig auf sich aufmerksam um sie zu verraten? Es machte alles schlichtweg keinen Sinn.
Unsicher, als könnte das Objekt sie selbst in ruhendem Zustand noch immer verletzen, streckte sie die Hand aus, umfasste den Pfeil und zog ihn mit einem energischen Ruck aus der Wand, wofür sie eine unbehaglich große Menge an Kraft aufwenden musste. Das Ding war kein gewöhnlicher Pfeil, es stammte aus einer Armbrust... hätte sie also durchaus töten - oder zumindest schwer verletzen - können, wenn der Schütze diese Absicht verfolgt hätte. Er fühlte sich merkwürdig rau und um einiges dicker an, als die Pfeile, die sie bei ihrem letzten Training mit Elijah verwendet hatte.
Noch einmal strich sie nachdenklich über die Spitze. Da löste sich an der Seite ein dünner Streifen Klebeband und ein halb zerknüllter, hastig auf billiges Papier gekritzelter Brief entfaltete sich wie ein sterbender Origamischwan in ihren Fingern.
Beim Anblick der schwungvollen Kugelschreiberschwünge hielt sie die Luft an. Diese Schrift hätte sie unter Tausenden wiedererkannt.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen und zitternden Händen studierte sie die wenigen Zeilen, überflog sie dann noch einmal und las sie zur Sicherheit ein drittes Mal. Ihr Herz hatte so schnell zu schlagen begonnen, als drohte es ihr gleich aus der Brust zu springen.
Ellie holte tief Luft, wandte den Blick in den Himmel und nickte energisch, dann breitete sich ein leichtes, für einen Außenstehenden beinahe unsichtbares Lächeln auf ihren Gesichtszügen aus.
"Ich werde mein Bestes geben...", flüsterte sie in die Nacht, in der vagen Hoffnung, der Schütze könnte sie vielleicht noch irgendwie verstehen.
♤♤♤
Nur das weit entfernte Klagen eines einsamen Käuzchens und das stetige, beinahe melodische Brausen des Nachtwindes in den tief hängenden Ästen der wenigen Bäume leisteten ihr auf ihrem Weg Gesellschaft, als Ellie sich durch die Gärten der Anstalt manövrierte. Aus der Ferne hatte sie klar beobachten können, wie der Wachposten am Tor auf seinem bequem gepolsterten Sessel eingenickt war und nachdem sein Brustkorb sich einige Minuten lang regelmäßig gehoben und gesenkt hatte, hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und war losgewandert.
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SAVED - Der letzte Tag auf Erden // Eine The Walking Dead Fanfiction
FanficDie Anstalt. Ein durchaus passender Name für das Gebäude, in dem der hitzköpfige Elijah, seine freiheitsliebende Schwester Eleanor und sein bester Freund und Arzt der Gruppe Owen, als Anführer der „Auferstandenen", einer kleinen Schar Überlebender...