28 - Zusammen

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Fassungslos blickte Ellie in die Tiefe. Wie ein weit aufgerissenes schwarzes Maul, dem sie in den schier unendlich tiefen Schlund blickte, tat die Dunkelheit sich unter ihr auf. Gedämpftes Knurren und Fauchen klang noch immer erstickt unter den verfaulten Überresten der morschen Treppe hervor, über der langsam eine dicke Wolke aus grau-weißem Staub emporschwebte. Nach dem lauten Krach vor nur wenigen Sekunden wirkte die Stille erdrückend und eine Gänsehaut kroch unwillkürlich ihren Rücken hinab, wenn sie daran dachte, wie knapp sie dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen war.

Der Regen, der noch immer den heraufziehenden Sturm ankündigte, prasselte in gleichmäßigem Rhythmus auf das Dach weit über ihr und hörte sich an wie das verzweifelte Klopfen von langen, eingerissenen Fingernägeln. Wäre alles anders gekommen, läge Ellie jetzt gerade gemütlich zuhause in ihrem Bett in der Anstalt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, in ihre Kissen gemummelt und würde den dicken Tropfen lauschen, die gegen ihre Fensterscheiben klatschten. Sicher, geborgen, fernab von allem Unheil und aller Gefahr.

Sie machte noch einen Schritt auf den Abgrund zu, sodass die Spitze ihres Stiefels einige Zentimeter über die Kante ragte. Unter ihr waren einige Meter gähnende Leere. Nein, es war schlicht ausweglos. Die Treppe war restlos eingestürzt und es gab nicht einmal Säulen oder andere Möglichkeiten, an denen sich ein erschöpftes Mädchen wie sie in die Tiefe hätte hangeln können. Sie war gefangen. Schon wieder. An dem Ort, an dem sie sich so viele Jahre eingesperrt und gefangen gefühlt hatte und von dem sie geglaubt hatte, ihn nach der Apokalypse endlich gänzlich hinter sich lassen zu können.

Sie schnaubte, halb amüsiert, halb frustriert. Von außen betrachtet war die Situation tatsächlich lächerlich. Sie war gefangen, schon wieder. Mit...

"Mädchen, geh bitte von der Kante weg, du machst mich noch wahnsinnig.", brummte eine tiefe Männerstimme hinter ihr und eine große Hand umschloss ihre Schulter und zog sie sanft zurück.

Negan. Beinahe hätte sie wirklich laut herausgelacht. Für einen Moment hatte sie vergessen, mit wem sie sich nun in dieser satirisch-komischen, misslichen Lage befand. Das Schicksal hatte ihr wirklich ihren schlimmsten Erzfeind als Sahnehäubchen für diese wundervolle Situation schicken müssen.

Sie drehte sich zu ihm um. So schnell, dass ihr blondes Haar durch die dunkle Abendluft wirbelte. Und das zwickende Gefühl in ihrem Magen blieb aus. Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung war er nur ein Mann für sie. Nicht der Anführer der Erlöser, nicht der Erzfeind ihres großen Bruders, nicht der selbsternannte König des Heiligtums. Nur ein bewaffneter, etwas zu hochgewachsener Mann mit finster dreinblickenden Augen und einem unrasierten Kinn.

Auch an diesem Tag trug er dasselbe Ensemble wie immer: glänzende, schwarze Lederjacke, weißes Shirt und schwarze Jeans. Um den Hals hatte er ein rotes Halstuch geschlungen und als er die Hand hob, um sich durch die Haare zu fahren, erblickte sie wieder den weißen Verband um sein Handgelenk. Er war blütenweiß und wohl in den letzten Tagen oder Stunden ausgetauscht worden. Die Neugier wisperte wie ein wildes Tier in ihr Ohr, neugierig, was sich darunter befinden könnte.

Für einen Moment fragte Ellie sich, ob er denn überhaupt andere Kleidungsstücke besaß. Vielleicht hatte er ja einen Schrank, in dem nur identische Kleidungsstücke hingen? Sie lächelte bei dieser cartoonhaften Vorstellung, zwang aber ihre Mundwinkel noch im letzten Augenblick nach unten.

Zu spät.

"Mich würde ja interessieren, worüber du jetzt noch grinsen kannst. Wir sitzen hier nämlich beide - und bitte entschuldige meine Ausdrucksweise - ziemlich in der Scheiße."

Ellie musste ihm zwar zähneknirschend recht geben, weigerte sich aber, wieder vor ihm einzuknicken und zwang ihren Nacken, der sich gerade nach unten beugen wollte, gerade. Was hatte er schon gegen sie in der Hand? Er konnte sie nicht einfach mitnehmen, wie er es schon einmal getan hatte, sie kamen ja beide nicht weg. Wenn er sie hätte töten wollen, hätte er sie einfach den Untoten überlassen oder sie in den Abgrund stoßen können, anstatt ihr beide Male das Leben zu retten. Außerdem waren in seiner Waffe (ebenso wie in ihrer) keine Kugeln mehr übrig.

SAVED - Der letzte Tag auf Erden // Eine The Walking Dead FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt