Kapitel 76

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Dies war die traurigste Zugfahrt, die ich jemals erlebt hatte, noch nicht einmal die Süßigkeitenhexe hatte gute Laune. Man hörte kein Lachen und Rennen auf den Gänge, es war totenstill. Wir saßen in einem Abteil, auf den gleichen Plätzen wie sonst auch. Harry und ich hatten unsere Köpfe gegen die Fenster gelehnt und beobachteten schweigend die vorbeirauschende Landschaft. Hermine saß neben mir und las, Ron ihr gegenüber aß einige Süßigkeiten und blätterte in einem Bildband über Quidditch. Die ganze Fahrt tauschten wir kaum ein Wort und auch Bahnhof verabschiedeten wir uns wortkarg. Remus holte mich dieses Mal nicht ab, es sei zu gefährlich. Nachdem ich alle kurz umarmte hatte, disapparierte ich noch auf dem Bahnsteig mit meinem Koffer in der einen Hand und Orions Käfig in der anderen. Zuhause war niemand, sowohl Tonks und Remus waren unterwegs. Ich ließ Orion nach draußen, warf meinen Koffer in eine Ecke und ließ mich erschlagen aufs Sofa fallen. Ich war fix und fertig, mein Kopf drehte sich und ich konnte einfach nicht abschalten. Nach ein paar Minuten erhob ich mich schwerfällig, packte meinen Koffer per Hand aus, riss alle Fenster auf und setzte mich schließlich nach draußen. Es war windig, aber warm. Irgendwann stand ich wieder auf, ich war so unruhig und beschloss in den Wald zu gehen. Meine Füße fanden die Wege, die als Kind gegangen war, von allein. Ich schloss die Augen und konzentriere mich ganz auf den Wald. Die frische Luft, das Vogelgezwitscher und Brummen der Insekten, der angenehme Duft der Blumen, das Rauschen der Blätter. Ich dachte an nichts anders, ich genoss nur und fand endlich etwas Frieden.

Später kehrte ich zum Haus zurück. Dort wartete nicht nur Remus, sondern auch Tonks auf mich. Ich musste lächeln, als ich ihre Hände sah, die ineinander verschränkt waren. Ich umarmte Remus sehr lange, bis er mir ins Ohr flüsterte: "Willst du meine Trauzeugin werden, Amy?" "Was?!" Tonks strahlte über das ganze Gesicht, als Remus seine Frage wiederholte. "Ihr wollt heiraten? Jetzt?" Beide nickten. "Ich habe eingesehen, dass ich ein großer Idiot war, als ich Tonks von mir weghalten wollte. Und jetzt fürchte ich, haben wir kaum noch Zeit und ich will sie heiraten, bevor der Krieg ausbricht. Also warum nicht jetzt? Wir haben eine kleine Kirche gefunden und in einer Woche wird uns ein Priester trauen." "Das ist- Ich kann es nicht glauben! Wen habt ihr denn eingeladen?" "Dich, Mad-Eye, meine Eltern. Mehr nicht, wir wollen keine große Sache draus machen. Immerhin heiraten Bill und Fleur auch bald." "Ich freue mich so für euch, unglaublich. Und natürlich werde ich deine Trauzeugin, Remus." Er lachte und ich nahm beide in den Arm. Mein Patenonkel würde heiraten, unglaublich! Ich wollte den Beiden natürlich bei allen Vorbereitungen helfen, aber sie hatten alles bereits geregelt. Tonks hatte sogar schon ein Kleid. Ein kurzes, schneeweißes Kleid mit einem breiten Schulterträger. Sie sah hinreißend aus. Und auch Remus sah gut aus in seinem schwarzen Frack. Er wirkte gesund und jung. Es wurde wirklich eine kleine Hochzeit, trotzdem zerriss es mein Herz, Remus so glücklich so sehen. Ich freute mich so für ihnen. Am Abend saßen wir zu fünft in der kleinen Küche von Tonks Eltern und aßen gemeinsam, Mad-Eye hatte sich nach der Zeremonie bereits verabschiedete. Andromeda und Ted waren äußerst herzliche und freundliche Menschen. Man merkte überhaupt nicht, dass Ted ein Muggel war, so gut hatte er sich der Zaubererwelt angepasst. Nach der Hochzeit aber verflog meine gute Laune. Tonks blieb bei ihren Eltern und Remus tauchte wieder unter. Ich wurde wieder allein gelassen, allein mit meinen Gedanken und Sorgen, die mich langsam auffraßen. Es gab nur einen Ort, wo ich jetzt hingehen konnte.

Ich öffnete die Eingangstür des Ladens und schleifte meinen Koffer durch die Besucher. Immer wieder musste ich kleinen Kindern ausweiten, aber ich schaffte es, mich bis zur Kasse durchzuschlagen. Dort stand George und bediente. „Hey, George", begrüßte ich ihn müde. „Hi, Amy", murmelte er und kassierte nebenbei. „Kann ich mal mit einem von euch reden?", fragte ich und schlängelte mich hinter die Kasse. „Klar, Fred ist im Lager." „Danke." Ich eilte mit dem Koffer zum Lager und öffnete leise die Tür. Fred stand mit dem Rücken zu mir und hatte ein Klemmbrett in der Hand. Er schien gerade den Lagerbestand zu kontrollieren. „Fred?", sagte ich leise. Erschrocken drehte er sich um. „Amy, was machst du denn hier?" Ich seufzte. „Ich weiß nicht, wo ich hin soll", stellte ich dann fest. „Remus und Tonks haben geheiratet. Sie wohnt jetzt wieder bei ihren Eltern und Remus ist wieder untergetaucht. Das Haus ist so schrecklich leer und zum Grimmauldplatz kann ich auch nicht. Ich musste raus." Fred legte das Klemmbrett zur Seite und kam auf mich zu. „Und dann bist du zu uns?" „Ich dachte mir, ihr könntet mich am besten ablenken. Ihr scheint die Einzigen zu sein, die immer noch optimistisch sind. Ich will einfach nur nicht daran denken, was da draußen wartet. Oder was noch passieren könnte. Sobald ich alleine bin... Da kommen die Gedanken... Dad... I-Ich habe einfach Angst, noch jemand zu verlieren." Bei den letzten Worten kamen mir doch noch die Tränen, die ich in den letzten Tagen so krampfhaft unterdrückt hatte. „Schhh, alles wird wieder gut, Amy", meinte Fred nur und zog mich in seine Arme. Ich schluchzte an seine Schulter, während er mir beruhigend über die Haare strich. „Du bleibst natürlich bei uns, Amy. Das ist keine Frage. Du kannst uns im Laden helfen." „Habt ihr denn noch Platz für mich?" „Natürlich, wir teilen uns einfach ein Bett." Da war wieder sein typisches Grinsen und auch ich musste jetzt wieder lächeln. „Davon träumst du, Freddie. Ich nehme das Bett und du das Sofa", meinte ich scherzhaft. „Wer wo schläft, klären wir nachher. Los, wir bringen deinen Koffer nach oben und dann hilfst du mir mit dem Lagerbestand." So machten wir es dann auch. Bis zum Ladenschluss half ich den Zwillingen und abends erklärten wir dann George, weshalb ich jetzt bei ihnen wohnen wollte. Er hatte auch nichts dagegen und so wurden wir eine kleine Wohngemeinschaft. Endlich konnte ich wieder ausschalten und musste nicht immerzu an Remus und Tonks, Sirius' Tod und Dracos Verrat denken.

Die Tochter des MördersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt