Abreise II

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Die nächste Stunde verging ohne, dass wir miteinander geredet hätten. Zwar hatte mein neuer Bekannter ab und an eine Bemerkung fallen lassen oder eine Frage an mich gerichtet, doch ich hatte in Yans Gegenwart keine Lust gehabt zu antworten und würgte alles ab, was von dieser Seite her kam. Stattdessen fragte ich mich unablässig, warum Yan diese Show hier abzog? Warum zum Teufel rannte er mir hinterher und wollte, dass ich zurückkam? Vielleicht wollte er meinem Vater eine Enttäuschung ersparen. Vielleicht wollte er verhindern, dass ich den gemeinsamen Urlaub crashe, oder vielleicht fürchtete er ja, dass gerade durch mein plötzliches Verschwinden Fragen gestellt würden und erst deshalb unser Abenteuer ans Licht kam. Aus einem anderen Grund konnte es ja nicht sein. Er hatte doch gerade erst deutlich klar gemacht, dass das mit uns lediglich für diese eine Nacht war. Es konnte also nicht sein, dass er mich zurückholen wollte, damit ich in seiner Nähe war. Selbst wenn er es wollen würde, wo sollte das hinführen? Er war verheiratet.

Angestrengt sah ich weiter nach draußen. Yans Anwesenheit machte mich nervös. Noch nervöser, als ich es ohnehin schon war. Ich hatte gedacht mit meinem Weggehen hätte ich die Sache zwischen uns hinter mir gelassen. Da hatte ich mich wohl getäuscht. Es war ja ein Stück weit normal, dass er sich fragte, warum ich gegangen war. Das hätte jeder getan. Aber nicht jeder wäre mir hinterhergelaufen und sogar in einen Zug eingestiegen, um mich zu belagern, bis ich mürbe war.

Ich seufzte leise. Peinlichst darauf bedacht, keinen Blickkontakt mit Yan zu haben, drehte ich mich ein wenig zur Seite und kramte in meiner Tasche nach dem Croissant, das ich vorher gekauft hatte. Ich biss ein kleines Stückchen herunter und kaute darauf herum, wie auf einem Stück Gummi. Irgendwie schmeckte es nicht, also packte ich den Rest wieder weg und starrte erneut aus dem Fenster.

Wenn er wirklich hier war um mich zurückzuholen, damit keiner blöde Fragen stellte, musste ihm der Hintern ja ganz schön auf Grundeis gehen. Was würde er wohl tun, wenn wir in Marseille ankämen und ich einfach in den nächsten Zug nach Frankfurt einstieg? Würde er mir auch da hinterherlaufen und womöglich mit nach Deutschland fahren? Ehrlich gesagt, ich wollte es nicht darauf ankommen lassen. Selbst, wenn er mich einfach nur festhalten würde und mich nicht mehr losließ. Sollte ich da etwa schreien? Nie im Leben wollte ich einen Eklat auf dem Bahnsteig riskieren. Einen kleinen Vorgeschmack darauf hatte ich ja schon hier im Zug erhalten. Unwillkürlich fröstelte mich bei dem Gedanken daran. Das war wirklich das Letzte was ich wollte. Irgendwie musste ich aus dieser Situation herauskommen. Irgendwie musste ich ihm klarmachen, dass ich unter garkeinen Umständen wieder mit zurückkam.

Einem Impuls folgend drehte ich mich vom Fenster weg, Yan zu.

„Also gut, du hast gewonnen! Reden wir!"

***

Das Bordbistro war bis zum Platzen gefüllt und mit Mühe quetschten wir uns neben zwei Mitreisende an den Tresen. Wie um alles in der Welt, sollte ich ihm in dieser Menschenmenge klarmachen, dass ich nicht mit ihm zurückkam? Völlig ausgeschlossen. Hier gab es tausend Ohren, die mithorchten. Da hätte ich ebenso gut eine Durchsage über Lautsprecher machen können. Fragend sah ich mich um. Wo konnten wir hin? Doch noch bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, sah ich, wie Yan langsam seinen Kopf schüttelte und im selben Moment spürte ich seine Hand an meiner, die mich fasste und mich mit sich zog. So gut es ging, hangelte sich Yan durch das Gedränge hindurch und verließ mit mir im Schlepptau das Bistro auf der gegenüberliegenden Seite.

„Was soll das? Wo zerrst du mich hin?", verlangte ich zu wissen und stemmte mich etwas gegen seine Kraft. Ich wollte nicht wie ein Hund an der Leine hinterher gezogen werden. Ich wollte hier bestimmen wie und wo es langging.

„Dahin wo wir ungestört sind.", antwortete er bestimmt.

„Und wo bitte soll das sein? Der Zug ist von vorne bis hinten gefüllt."

Crush - verliebt in den Vater meiner FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt