Die Rückreise

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Meine Beine fühlten sich wie Gummi an, als ich die letzte Stufe nahm und mit einem kleinen Satz aus dem Zug hinaus auf den Bahnsteig sprang. Ich drehte mich um und Yan reichte mir meine Reisetasche, bevor auch er aus dem Zug stieg.

Unsicher ging ich ein paar Schritte in Richtung des TGV's, der mich nach Frankfurt bringen sollte. Ich wusste Yan war direkt hinter mir und ich wusste, er würde wieder versuchen mich aufzuhalten. Ich verstand immer noch nicht warum er das tat, aber was noch schlimmer war, ich konnte nicht mehr mit Sicherheit sagen, dass ich die Kraft hatte mich dagegen zu wehren.

Gerade eben im Zug in der Toilette, als Yan versucht hatte mich zu küssen, hatte uns die Ankunft des Zuges in Marseille gerettet, diese Dummheit zu begehen. Ich war drauf und dran gewesen ihm nachzugeben und ich wollte es so sehr, dass ich es kaum glauben konnte. So jämmerlich! Da wollte ich ihn im Zug zur Rede stellen. Wollte herausbekommen, warum er mir hinterherlief und was passierte? Ich fand mich in seinem Armen wieder und war kurz davor alle Bedenken in den Wind zu schießen.

***

Mit wackeligen Knien setzte ich meinen Weg in Richtung des Gleises fort, an dem mein Zug bereits auf mich wartete. Nur noch wenige Meter und ich hätte mein Ziel erreicht, würde einsteigen können und einfach davonfahren, aber ich hatte das Gefühl, meine Füße wollten mich nicht mehr weitertragen. Ich strengte mich an, nahm meine Kraft zusammen, aber es war, als wenn ich nicht von der Stelle kam. Ich stand wie einbetoniert, unfähig, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen und starrte auf die silbernen Wagen, die in der Sonne gleisend leuchteten. Ein leichtes Zittern durchlief meinen Körper, denn ich wartete auf das Unausweichliche.

Und das Unausweichliche kam. Yan war in diesem Augenblick hinter mich getreten und ich spürte, wie er mit beiden Händen meine Arme entlang fuhr ganz so, als ob er um Erlaubnis bat, mich berühren zu dürfen.

"Ich bin hier, ich bin hier mit dir ...", nuschelte er versonnen in mein Haar. „... heute Morgen, als du weg warst dachte ich, ich würde dich nicht wiedersehen."

Seine Worte verstärkten mein Zittern noch. Ich wusste, dass nun der Augenblick gekommen war, an dem ich mich entscheiden musste. Ich musste mich zusammenreißen. Musste meinen Körper beherrschen. Musste einen Schritt vor den anderen setzen in Richtung der geöffneten Abteiltür. Die verstreichenden Sekunden dehnten sich wie Stunden aus und dann ging ein Ruck durch meinen Körper und ich trat einen winzigen Schritt zurück.

Mit geschlossenen Augen schmiegte ich mich an Yans Körper, der sofort reagierte und mich fest in seine Arme zog.

„Aber was ist mit Marion?" Ich hörte Yans gleichmäßigen Atem spürte, wie er sein Kinn auf meinen Haaren ablegte, lauschte angespannt, aber er antwortete nicht.

Ich drehte mich zu ihm um und schlang meine Arme um seinen Nacken. „Was ist mit Marion ...?", wiederholte ich meine Frage und dieses Mal wagte ich es, ihm dabei in die Augen zu sehen.

„... wenn ich jetzt mit dir zurückkomme, was ist dann mit ihr? Du hast ... .", weiter kam ich nicht. Yan hatte sich zu mir heruntergebeugt und meinen Mund mit seinen Lippen verschlossen. Er ließ mir keine Möglichkeit mehr, zu sprechen. Er wusste nur zu gut, dass ich mich jetzt entscheiden musste und er wusste nur zu gut, was er tun musste, damit ich blieb.

Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen und erwiderte zaghaft seinen Kuss. Einmal, zweimal, dreimal. Entscheiden? Hatte ich denn überhaupt noch eine Wahl? Heute Morgen hatte ich sie noch gehabt, aber jetzt?

Sekunden später nahm ich wie durch einen Nebelschleier wahr, wie sich die Waggontüren hinter mir schlossen, der Zug anfuhr und langsam aus dem Bahnhof hinausrollte.

Mit diesem Kuss hier auf dem Bahnsteig von Marseille, war also meine Entscheidung gefallen.

***

Nachdem Yan die Tickets für die Rückfahrt geholt und gleich noch zwei Kaffee und Croissants besorgt hatte, hatten wir uns ein Abteil gesucht und Platz genommen. Wir tranken unseren Kaffee und aßen die Croissants schweigend und auch die restliche Rückfahrt über hatten wir mehr oder weniger nichts gesprochen.

Was hätten wir auch sagen sollen? In meinem Körper tobte ein Sturm, der mich sprachlos machte. Seine Annäherung vorhin im Zug und dann sein Kuss auf dem Bahnsteig, seine Bitte an mich wieder mit zurückzukommen, war so was wie ein Eingeständnis seiner Lust auf mich. Er wollte mich so sehr, wie ich ihn wollte und die Erkenntnis ließ mich vor Aufregung kaum atmen. Am liebsten hätte ich Yan die ganze Zeit an der Hand gehalten, mich an ihn geschmiegt und geküsst, andererseits aber, machte mir die Ungewissheit vor dem Kommenden Angst.

Es hatte sich ja nichts geändert. Wir konnten keine Beziehung führen. Wir konnten uns nicht mal zusammen sehen lassen. Von daher hatte ich nicht im Mindesten eine Ahnung, was das Ganze sollte außer, dass wir uns nach einander sehnten, heimlich Küsse tauschen würden, Blicke tauschen würden wenn keiner in der Nähe war und unsere Sehnsucht stillen würden bei Nacht, wenn alle anderen schliefen. Das konnte durchaus aufregend sein, war aber auf die Dauer unbefriedigend und dauernd auf der Hut sein, dass man nicht erwischt wurde war Scheiße und was daran am Schlimmsten war, man betrog dabei die, die man am meisten liebte.

Außerdem, und das gefiel mir überhaupt nicht, hatte mir Yan keine Antwort auf meine Frage gegeben, was mit Marion war? Ich wusste nicht, ob ich Yan vertrauen konnte, ob er es ehrlich mit mir meinte, oder ob er mich einfach nur ausnutzte um seine Lust zu befriedigen ohne, auch nur das Geringste für mich zu empfinden. Ich erwartete ja nicht, dass er sich von seiner Frau scheiden ließ ... von seiner Frau trennte? Aber ..., was erwartete ich eigentlich? Ich hatte keine Ahnung. Ich drehte mich im Kreis mit meinen Gedanken, aber die Botschaft meines Körpers war klar.

Allein nur wegen der Hoffnung auf eine flüchtige Berührung, einem gestohlenen Kuss oder einer durchliebten Nacht, ging ich mit zurück. Eine Beziehung ohne Zukunft einzig und alleine, weil ich süchtig war, nach seiner Nähe und seinem Körper.

Was für ein Wahnsinn!

Crush - verliebt in den Vater meiner FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt