CARAMEL

5

Henry sah mich neugierig an.
„Musst du noch im Sekretariat deinen Stundenplan abholen?", fragte er mich, während Oliver ausstieg und das braunhaarige Mädchen umarmte.
„Ja, ich denke schon.", antwortete ich nervös. Obwohl ich schon so oft die Neue an einer Schule gewesen war fühlte ich mich jedes mal unwohl.
Aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich eh keine Freunde finden wollte, von denen ich mich dann verabschieden müsste.
„Ich zeig dir wo das Sekretariat ist.", sagte Henry und öffnete seine Tür. Ich stieg auch aus.
„Das ist wirklich nett von dir.", bemerkte ich.
Und da war es zu spät. Schon hatte ich zwei Leute gefunden, die ich so nett fand, dass ich traurig sein würde, wenn wir wieder wegziehen mussten.
Eine menge Schüler grüßten Henry auf dem Weg durch den grauen Schulflur. Ich kam mir ohne die Schuluniform merkwürdig vor.
Oliver war nicht mit uns gekommen, aber Henry ging offenbar auch nicht den Weg, den er gehen musste zu seinem Unterricht. Es war so laut, dass wir gar nicht erst versuchten uns zu unterhalten.
Henry blieb vor einer Tür mit der Aufschrift Sekretariat stehen und zeigte auf die Tür.
„Danke.", sagte ich und meinte es auch so.
Er nickte mir lächelnd zu.
Ich klopfte an die Tür und trat ein.
Eine korpulente Frau mit langen braunen Haaren saß hinter einem Schreibtisch und tippte auf ihrem Computer. Sie hatte die Spitzen ihrer Haare blond gefärbt, doch es war mehr gelb oder orange, als blond. Sie hatte ein hübsches Gesicht und trug eine süße Bluse mit Blumenmuster.
Sie lächelte mich freundlich an und ich lächelte zurück. Ich konnte gar nicht anders.
„Ich bin-", fing ich an, doch sie beendete den Satz für mich: „Caramel Harper."
Sie klang fröhlich, als wäre ich eine alte Freundin.
„Man hat uns schon gesagt, dass du kommen würdest.", sie lächelte und tippte irgendwas auf ihrem Computer. Kurz darauf spuckte der Drucker ein paar Ausdrucke aus.
Ich zog das Papier von meiner Mutter aus meinem Rucksack und gab es ihr. Sie unterschrieb ein paar Zettel und schob Formulare durcheinander und sortierte sie wieder neu. Dabei redete sie mit mir.
„Du bist wirklich hübsch. Sind deine Haare gefärbt?", dabei deutete sie auf meine hellblonden Haare.
„Danke. Sie auch. Nein, meine Harre sind von Natur aus so hell.",
Sie nickte bewundernd, als wäre das eine besondere Leistung, für die ich schwer gearbeitet hatte.
„Ich bin eigentlich Vertrauenslehrerin, weißt du? Aber Mrs Melwick ist krank. Zugegeben, ich war ganz froh, weil heute ja wirklich mal was spannendes passiert.
Es ist ja so aufregend, dass du hier neu bist. Wo warst du denn vorher?"
„Millville Memorial Highschool in Millvill, New Jersey. Aber ich war da nur zwei Monate.", erklärte ich. Sie nickte begeistert.
„Das ist ja ein ganz schön weiter Weg.", stellte sie dann betroffen fest. Ich nickte. 12 Stunden Autofahrt.
„Naja. Willkommen in Atlanta.", sagte sie und reichte mir einen Umschlag.
„Da ist alles drin. Stundenplan, Lehrplan, Leselisten, Bücher, die du kaufen oder ausleihen musst, Informationen zu deinem Spind, ein Plan des Schulgeländes und so weiter. Ich wünsche dir ein wunderbares Schuljahr."
Ich bedankte mich. Dann öffnete die Tür und erschrak. Henry lehnte an der Wand neben dem Sekretariat und sah mich an.
„Was hast du jetzt?", fragte er mich fröhlich. Ich suchte in dem Umschlag nach dem Stundenplan und fand ihn.
„Mathe", antwortete ich ihm dann, „bei Mr Wheeler."
Er strahlte: „Dann haben wir jetzt zusammen Mathe."
Darüber wunderte ich mich. Er sah älter aus als ich. Warum war er in der selben Stufe wie ich? Oliver war doch auch eine Stufe über mir.
Vielleicht sollte ich ihn das mal fragen.
Wir kamen bei dem Raum an und Henry wurde fröhlich begrüßt. Mir wurden nur seltsame Blicke zugeworfen.
Ein älterer Mann betrat den Raum und die Schüler setzten sich auf ihre Stühle.
„Ich bin Cara Harper. Ich bin neu hier.", erklärte ich ihm.
Er nickte genervt und wedelte mir dabei mit einer Hand zu, als wäre ich eine lästige Fliege, die ihm vor den Augen herumflog.
„Seit bitte ruhig.", rief er den Schülern zu.
Es wurde still.
„Das ist Caramel. Sie ist neu hier, also seit einfach nicht gemein zu ihr. Ich habe keine Lust auf den Ärger.", er sprach meinen Namen so hart und abwertend aus, als wäre es eine Beleidigung.
„Nur Cara bitte.", warf ich ein, aber er achtete nicht auf meine Bemerkung.
„Setz dich doch neben Henry." sagte er dann und entließ mich aus der angespannten Situation.
Alle starrten mich an, während ich mich mit gesenktem Kopf neben Henry setzte.