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Eigentlich sollte ich schlafen, aber ich starrte auf den zusammengefalteten Zettel in meiner Hand. Henry hatte ihn mir gegeben, aber ich traute mich nicht ihn zu lesen. Ich vermisste Henry wirklich schlimm.
Meine Mutter hatte mir mein Handy abgenommen, deswegen konnte ich ihm nicht einmal schreiben.
Mein Herz schmerzte. Irgendwie nahm ich nichts mehr wirklich wahr. Ich starrte den ganzen Tag vor mich hin, wie traumatisiert. Ich sprach nicht, aß nicht, schlief nicht.
John war nicht nett. Er hatte sich versucht mit mir zu unterhalten und als ich ihm nicht geantwortet hatte, hatte er mir eine Ohrfeige gegeben und mich in das Zimmer geschickt.
Aber ich spürte den Schmerz auf meiner Wange nicht. In der Spieglung im Fenster sah ich, dass ich einen roten Fleck an der Stelle hatte, aber es war mir egal.
Meine Mutter beschimpfte mich, sagte mir, dass ich ihr ihr Glück nicht gönnte.
Aber ich starrte nur auf meine Hände und bekam gar nicht richtig mit wovon sie redete.
Aber ich hatte geduscht, dabei hatte ich gemerkt, dass John mich beim umziehen beobachtete, aber ich hatte keine Kraft, um ihn darauf anzusprechen. Vielleicht waren ein paar Tage vergangen, aber ich wusste es nicht.
Ich wollte nichts wissen. Das einzige, das ich wusste, war, dass ich Henry so sehr liebte und, dass meine Mutter mich von ihm ferngezogen hatte. Ich dachte darüber nach was er gesagt hatte, dass ich auch bei Roy bleiben könnte. Ich hatte oft darüber nachgedacht, aber die Möglichkeit erschien mir nicht real. Ich dachte, dass Roy mich sicher nicht sehen wollte, nachdem meine Mutter ihn so sehr verletzt hatte.
Wieder verfluchte ich mich. Ich würde mich nie meiner Mutter widersetzen können, dafür war ich zu feige. Ich tat was immer sie mir sagte und hatte nicht den Mut ihr zu sagen, wie sehr es mich ankotzte.

Henry würde es können. Henry war stark. Ich erinnerte mich an den Blick in seinen Augen, als er mir den Zettel gegeben hatte. Der Zettel in meiner Hand schien mittlerweile mehrere Kilo schwer zu sein.
Ich wollte ihn wirklich öffnen, doch ich hatte Angst.
Angst, dass ich dann sterben würde.
Zitternd faltete ich ihn auseinander. Henry hatte mit seiner schönen Handschrift etwas darauf geschrieben.
Es war ein Gedicht oder so etwas ähnliches. Ein Text, wie er ihn mir jeden Morgen gegeben hatte. Manchmal war es ein Text über mich und manchmal waren es einfach nur schöne Worte für mich gewesen. Tränen stiegen in meine Augen, als ich las.

Standest du schon mal an einer Stelle deines Lebens, an der du dich gefragt hast, warum du das alles machst? Die Stelle, zu der du gekommen bist, weil du dir und wem auch immer mit kurzfristigen und spontanen Entscheidungen den Himmel und was zum Teufel noch beweisen wolltest?
Dabei war dir bis zu dem Ziel auch nichts wichtiger, als anzukommen und dann standest du da und hast dich gefragt, warum genau und wem du eigentlich etwas vormachen willst?
Wenn ja, dann standest du sicherlich schon in dem darauffolgenden Regen der Gefühle. Erst bist du wütend, dann bereust du alles und irgendwann bist du traurig. Die Freude an der Sache hast du irgendwann auf dem Weg dahin verloren.
Hattest du dann das Gefühl in dem Regen zu ertrinken?
Ich selber kenne das ziemlich gut. Aber ich sage mir dann immer, dass alle, die immer in die selbe Richtung abbiegen, weil sie machen wollen, was sie kennen, eigentlich immer nur im Kreis fahren. Ich will aber die Welt sehen.
Und wenn ich einen falschen Weg nehme und dann irgendwann in dem Regen der Gefühle stehe, dann ist das der Moment in dem ich mich endlich wieder lebendig fühle.
Ich will in dem Regen stehen, bis ich scheiße-nass bin, weil ich dann endlich weg bin von dem Dach der Menge.
Ich will nicht unter dem Dach stehen, ich will den Regen. Ich brauche keinen Regenschirm und ich will ihn mir auch nicht mit irgendwem teilen.
Alles, was ich will ist, mit dir in diesem Regen zu stehen und, wenn wir endlich so nass sind, dass wir keinen trockenen Fleck mehr aneinander finden können, dann kann ich mir vielleicht vorstellen, mit dir ein Schiff zu bauen.

Aber bitte, du kannst auch weiter im Kreis fahren, ich warte dann hier im Regen auf dich.

Bis dahin: Gute Nacht, Cardi.

CARAMELWo Geschichten leben. Entdecke jetzt