CARAMEL

19

Ich hatte meine Schuhe ausgezogen und meine Füße auf den Sitz gestellt. Meine Arme umarmten meine Beine und ich saß seitlich auf dem Beifahrersitz und beobachtete Henry.
Ihm fiel wieder diese Locke in die Stirn und ich streckte meine Hand aus und strich die Strähne aus seinem Gesicht.
Er lächelte mich an, aber ich sah ihn ganz ernst an.
„Du bist so schön.", flüsterte ich fast ehrfürchtig.
Ich sah, dass ihm Röte ins Gesicht schoss.
„Du auch, Cardi.", er lächelte und sah wieder auf die Straße.
„Cardi bedeutet etwas oder?", fragte ich leise nach einer Weile.
Er nickte.
„Sagst du mir was es bedeutet?"
„Es ist eine Geschichte."
Ich lächelte: „Ich will dich nicht dazu drängen."

Er zögerte, dann begann er:
„Meine Eltern waren in so vielen Ländern und sie konnten noch mehr Sprachen sprechen. Sie haben einfach schon immer Reisen geliebt und es hat ihnen dann einfach Spaß gemacht Sprachen zu lernen. Es fiel ihnen auch ziemlich leicht.
Und sie haben sich dann irgendwann einen Spaß daraus gemacht beim Reden jedes Wort in einer anderen Sprache zu sprechen. Ich nehme an, dass sie das einfach lustig fanden. Manchmal haben sie auch Wörter zusammengesetzt, abgekürzt oder falsch verwendet. Oder sie haben Sprichwörter in andere Sprachen übersetzt. Es war fast als hätten sie eine eigene Sprache. Das war unglaublich.
Ich hab es immer geliebt ihnen zuzuhören.
Cardi ist so ein Wort. Es ist zusammengesetzt oder abgekürzt, ich weiß es nicht genau."
Er sah mich an, um zu sehen, was ich von der Geschichte hielt. Ich sah ihn mit großen Augen an. Neugierig sog ich jede Information auf.

„Cardi ist kein Name.", fuhr er fort, nachdem er mich angelächelt hatte, „Es beschreibt einen Zustand oder ein Gefühl.
Das Gefühl ist da, wenn man eine bestimmte Person sieht. Wenn das Herz dann kurz aussetzt, um dann furchtbar schnell weiter zu schlagen. Wenn das Atmen viel zu unwichtig ist.
Wenn der Bauch kribbelt, als wäre er ein eingeschlafenes Körperteil, und die ganzen Gefühle darin erwachen dann mit einem Schlag.
Der Moment, in dem die Erdanziehungskraft versagt und alles was dann noch anziehend ist, ist diese eine Person. Und das ergibt Sinn, also das mit der Erdanziehungskraft, weil sich ja sowieso schon alles nur noch um sie dreht.
Dann ist da dieser Zustand, in dem nichts ist und dann kurz danach ist nur noch diese Person da und nichts ist wie zuvor.
Das ist Cardi.
Aber Cardi ist nicht nur das, Cardi ist auch ein Versprechen.
Ein Versprechen an sich selbst, dass man die Person nie wieder verlieren darf."
Er sah starr auf die Straße.
Ich hingegen starrte ihn an. Das was er gesagt hatte war so schön und so unglaublich, dass ich nicht wusste was ich sagen sollte.
„Aber du nennst mich doch Cardi.", brachte ich heraus und sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals.
Er nickte. „Weil du die Person bist, die mich in diesen Zustand versetzt und weil du die Person bist, der ich das Versprechen gebe."
Seine Ehrlichkeit und sein offenes Herz waren einfach überwältigend.
Es war, als hätte er eine Sonne in sich, die mich einfach blendete, wann immer er mich wieder anstrahlte mit diesen wunderschönen Worten.
Henry parkte das Auto vor dem Haus und kam um das Auto herum, um mich zu tragen.
Er trug mich zur Haustür, ließ mich nur runter, um aufzuschließen, dass hob er mich wieder hoch und trug mich hoch in mein Zimmer. In der Zeit legte ich meinen Kopf an seine Schulter.
Er legte mich vorsichtig auf meinem Bett ab.
Er setzte sich neben mich und ich legte meinen Kopf auf seine Beine und sah hoch zu ihm. In dem schummerigen Licht sah ich den Farbunterschied seiner Augen gar nicht, aber ich sah die Liebe und den Sonnenschein in ihnen.
Er strich an meinem Gesicht entlang über meine Wange. Er ging durch meine Haare, die sich gewellt hatten, weil ich sie an der Luft hatte trocknen lassen.
Leise sang er ein Lied.
Ich kannte es nicht, aber er sah mich auf diese Art an, während er sang. Diese Art, bei der ich Gänsehaut bekam und mich in dem Sonnenschein, den er ausstrahlte wärmte.
Er ließ mich fühlen, als wäre ich die einzige Person auf der Welt, der er je diesen Sonnenschein sehen ließ.
Und ich merkte, wie seine schöne Stimme den Übergang in den Schlaf füllte.
„Gute Nacht, Cardi.", flüsterte er.
„Träum was Schönes, Henry", murmelte ich.
Aber ich war mir nicht sicher, ob sein leises Lachen und das kleine Lied, das darauf folgten ein Traum waren, oder, ob es tatsächlich passierte.