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Er hörte ihre Schreie durch die Wände dringen.
Seit 21 Tagen.
Der Winter Soldier - so wurde er genannt - spannte die Kiefermuskeln an und wagte es nicht, die Augen zu schließen. Zu sehr fürchtete er sich davor, die Erinnerungen an die Folter vor seinen Augen aufblitzen zu sehen. Schloss er die Augen, so hörte er nicht mehr die Schreie der Unbekannten, sondern seine eigenen.
Er wusste nicht, wer die Unbekannte war, nur, dass sie zwei Jahre nach ihm von Hydra verschleppt worden war.
Zwei Jahre schon ... seit zwei Jahren durchlebte er tägliche Folter. Er wusste, sie versuchten ihn zu brechen.
Er hatte sich geschworen, stark zu bleiben.
Sie zwangen ihn russisch statt englisch zu sprechen, vertrieben ohne Scheu vor Gewalt ungehorsame Gedanken aus seinem Kopf und experimentierten an ihm herum. An ihm und seinem Kopf.
Jeden Tag wachte er umgeben von den grauen Wänden seiner Zelle auf.
Jeden Tag wurde er in den Raum des Doktors gezerrt, wo man ihn festband und folterte. Er nannte diesen Raum schlicht das Labor.
Jeden Tag sah er das Gesicht des Doktors.
Jeden Tag las jener zehn Wörter aus einem rotgebundenen Buch vor.

Желание (zhelaniye)
Ржавый (rzhavyy)
Печь (Pech')
Рассвет (Rassvet)
Семнадцать (Semnadtsat')
Девять (Devyat')
Добросовестный (dobroserdechnyy)
Возвращение на родину (vozvrashcheniye na rodinu)
Один (Odin)
Грузовой вагон (gruzovoy vagon)

Sehnsucht.
Verrostet.
Schmelzofen.
Tagesanbruch.
Siebzehn.
Neun.
Gütig.
Heimkehr.
Eins.
Güterwagen.

Es ließ sich nicht leugnen, dass die Wörter Mal für Mal etwas in ihm auslösten. Eine Art Zwang.
Genauso erkannte er allmählich, wie er Details aus seinem früheren Leben vergaß. Er wusste zum Beispiel, dass er eine kleine Schwester hatte, doch so sehr er sich auch anstrengte: er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern. Die Gesichter seiner Eltern waren längst verschwommen, nur noch mühevoll konnte er sich das Gesicht seines besten Freundes vorstellen. Steve Rogers. Jeden Tag wiederholte er die Namen von Personen, an die er sich erinnerte. Selbst seinen eigenen, um ihn nicht zu vergessen.
James Buchanan Barnes. Bucky.
Aber sie wollten, dass er alle und alles vergaß - einschließlich sich selbst.
Sie forderten seine Gehorsamkeit. Ungehorsam führte zu Folter. Folter führte zu Schmerz.

Durch die Wände des Ganges mit den  Zellen, drangen Schreie hindurch. ,,Bitte! Hört auf!"
Bucky schlug die Augen nieder.

Sichtwechsel

Das erste, das Elide sah, als sie die Augen aufschlug, war die blutige Hand vor ihrem Gesicht. Zuerst war sie irritiert, doch dann erinnerte sie sich daran, wie sie sich selbst die Kehle aufgeschlitzt hatte. Damit sie das Bewusstsein verlor, wenn die Wände ihren Körper zu eindrücken begannen. Damit sie den Schmerz ihrer brechenden Knochen und aufplatzenden Adern, zerquetschendem Fleisch, nicht erdulden musste.
Vorsichtig tastete sie an sich hinab, sobald sie sich aufgesetzt hatte, um zu testen, ob alles inzwischen regeneriert war, und fühlte letztendlich auch an ihrem Hals. Es war keine Spur von ihrem beinahe-Selbstmord geblieben. Nur das Blut, das auf Haut und Klamotten, die inzwischen vor getrocknetem Blut hart waren, klebte, versicherte ihr die Realität.
Elide's Schädel brummte.
Ihr Hals fühlte sich vom Schreien trocken an und schmerzte beim Schlucken ihrer Spucke.
Hunger und Durst quälten sie, sie konnte sich nicht daran erinnern, zuletzt was gegessen zu haben. Es musste eine Ewigkeit her sein.
Zwar konnte ihr Körper mehr als nur drei Tage ohne Wasser oder allgemein Nahrung auskommen, jedoch war ihr bewusst, dass auch ihr Körper an seine Grenzen kam.
Sie konnte zwar aufgrund ihren schnellen regenerativen Heilungsfaktor nicht von körperlichen Schäden sterben, auch nicht wegen zu hohem Alter, doch sie konnte zweifellos Hungertod erleiden.
Was würde sie jetzt für ein Steak geben ... so schnell der Gedanke gekommen war, schlug sie ihn auch wieder aus ihrem Kopf. Allein die Vorstellung von Essen machte es nur noch schlimmer.

Elide wartete. Sie wartete auf die Wände. Derweil überlegte sie sich, ob sie sich erneut die Kehle durchschneiden sollte.
Sie fuhr ihre Krallen aus. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie sie zum ersten Mal ausgefahren hatte, und entdeckt hatte, dass ihre Wunden innerhalb von Sekunden verheilten. Sie hatte die Welt nicht mehr verstanden. Aber es war nicht nur das ... sie nahm seither Geräusche, Farben und Gerüche viel intensiver war. Sie hörte im Wind raschelnde Blätter, der vertraute, metallische Geruch ihres eigenen Blutes stach ihr wie Säure in der Nase.
Elide hob den Blick zum Fenster und stellte anhand der am Rande wachsenden Grasbüschel fest, dass der Raum unterirdisch lag.

Plötzlich hörte sie rasch lauter werdende Schritte. Sie stand hastig auf, als ein Dutzend Männer aus der Dunkelheit hervorbrachen. Sie stürmten - die Waffen gezogen - auf sie zu. Elide fuhr die Krallen aus, doch es brachte ihr nichts. Sie war immer noch gefesselt und umstellt. Einer der Männer trat aus dem gebildeten Ring hervor. ,,Fahren Sie die Krallen ein, Miss." Sie spuckte ihm verächtlich vor die Füße. Ein Zischen folgte. Und Elide blickte hinab auf das schmerzende, rot quellende Loch in ihrem Arm. Warum überraschte sie es nicht, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken, auf sie geschossen hatten? Kaum war die Kugel aus dem Fleisch gefallen und die Wunde zugewachsen, wandte sie sich dem Agent zu, der auf sie geschossen hatte. Doch ehe sie ihm die Krallen in sein Herz rammen konnte, sagte der vorgetretene Agent mit dem britischen Akzent: ,,Überlegen Sie es sich gut. Entweder Sie kommen nun mit uns, oder Sie bleiben weiterhin in dieser Zelle."

Das ließ sie zögern. Es konnte ja nicht viel schlimmer werden, als es schon war, oder? Außerdem hatte sie nichts zu verlieren. Würde sie allerdings hier bleiben, dann verlor sie noch ihren Verstand. Sie wandte sich dem Agent, der gesprochen hatte, zu und fuhr die Krallen ein.

Er hielt sie am Arm gepackt, als er sie durch das dunkle, triste Gebäude führte, in dem Agents und Wissenschaftler von Hydra untergebracht waren. Sie gingen Flure entlang, stiegen Treppen hinab und bogen so oft um die Ecke, bis sie absolut keine Chance mehr hatte, allein wieder hinauszufinden. Zumindest war das wohl die Absicht ihres Bewachers, denn sie hatte es natürlich jedes Mal bemerkt, wenn sie innerhalb weniger Minuten dieselbe Treppe hinauf- und wieder hinuntergestiegen waren. Auch wahr ihr aufgefallen, dass sie zwischen Stockwerken im Zickzack liefen, obwohl die Flure und Treppenhäuser in einem regelmäßigen Raster angeordnet waren. Also würde sie so leicht die Orientierung verlieren. Hätte er sich nicht solche Mühe gegeben, wäre sie fast beleidigt gewesen.

Sie betraten einen besonders langen Flur, in dem bis auf ihre Schritte Stille herrschte. Der Mann, der sie am Arm festhielt, war groß und durchtrainiert, sein Gesicht unter schwarzer Schutzbrille und Mundschutz auch jetzt nicht zu erkennen. Sicher ein weiterer Versuch, sie einzuschüchtern und zu verwirren. Die schwarze Kleidung gehörte wahrscheinlich ebenfalls dazu. Er drehte den Kopf in ihre Richtung und Elide grinste ihn an. Als er wieder nach vorn sah, wurde sein stählerner Griff fester. Irgendwie fühlte sie sich geschmeichelt, auch wenn sie keinen blassen Schimmer hatte, was das hier sollte und warum der Mann sie aus dem Raum mit den bewegenden Wänden geholt hatte. Hatte Hydra einen Weg gefunden, sie zu töten? Sie hatte schon lange keine Angst mehr gespürt, hatte sich nicht erlaubt, Angst zu spüren. Alles, was du brauchst, ist Hoffnung und Kraft. Es bleibt kein Platz für Angst.

Elide betrachtete die behandschuhte Hand des Agents, die ihren Arm hielt. Das Leder war genauso dunkel wie ihr Haar und ihre verdreckte Haut beinahe so dunkel wie das Leder. Mit ihrer freien Hand zog sie ihr zerrissenes, schmutziges Oberteil zurecht und unterdrückte einen Seufzer. Da sie nur das Fenster gehabt hatte, hatte sie selten die Sonne gesehen. Unter dem getrocknetem Blut - dem Dreck - war sie furchtbar blass. Früher hätte man sie als attraktiv bezeichnet, sogar schön - aber das war jetzt wohl nicht mehr so wichtig. Als sie in den nächsten Flur einbogen, musterte Elide die Schusswaffe ihres Bewachers. Als der Unbekannte ihren Blick bemerkte, ließ er seine behandschuhte Hand auf dem Griff sinken. Wieder zuckte ein Grinsen in ihren Mundwinkeln.

Black Jackal | Bucky FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt