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Mitte März, Magdeburg
Manuela von Meinhardis

Es war sieben Tage her seitdem wir den Militärzug in der Stadt gesehen hatten und etwa ein-einhalb Wochen seit ich von Elisabeth aus dem Internat gerettet wurde. Mein Knöchel tat kaum noch weh und ich genoss die Zeit in Magdeburg sehr. Die Stadt war wunderschön und total aufregend. Manchmal wünschte ich fast meine Mutter wäre hier oder vielleicht Yvette mit der ich diese neuen Erfahrungen teilen hätte können. Ich merkte, dass es Elisabeth schwer fiel, wieder bei ihren Eltern im Haus zu wohnen. Sie war die meiste Zeit über angespannt, auch wenn sie bei mir ziemlich glücklich wirkte. Nachdem sie mir alles gezeigt hatte, was es zu sehen gab und wir das meiste Geld für leckeres Essen und neue Kleidung für mich ausgegeben hatten, fing sie an nach Arbeitsstellen zu suchen. Auch nach einer neuen Wohnung hielt sie Ausschau, wobei sie sich noch nicht genau sicher war wo sie wohnen wöllte. Wollte sie hier in Magdeburg bleiben, zurück nach Potsdam gehen oder vielleicht nach Berlin ziehen? Ich stand ihr so gut es ging zur Seite. Ich wollte ihr helfen, wo ich nur konnte. Ich überlegte mich vielleicht als Kellnerin oder Putzkraft irgendwo zu bewerben, aber Elisabeth war dagegen. Sie meinte, ich solle sie machen lassen und lieber ein wenig entspannen; Zum Beispiel lesen, ins Theater gehen, mich weiterbilden und mit den Zwillingen die Stadt erkunden. Es waren ja gerade sowieso Faschingsferien, ich sollte es als eine Art Urlaub betrachten. Nach den Ferien wollte sie außerdem eine Schule für mich finden, in der ich noch meine Abschlussprüfung machen konnte, denn wie sie sagte: Ohne Schulabschluss würde sie mich nicht hinaus in die Welt ziehen lassen. Ich hatte durchgehend das Gefühl, Elisabeth habe gerade etwas am Laufen, einen Plan, von dem sie mir noch nichts erzählen wollte. Denn immer wenn ich sie darauf ansprach wie es weitergehen würde, war sie verschlossen und schwieg, wurde sogar ein bisschen wütend wenn ich immer weiter bohrte. Trotzdem schien sie gut gelaunt zu sein. Als würde sie gerade eine Überraschung für mich vorbereiten.

An diesem Tag, es regnete in Strömen und Elisabeth und ich hatten uns dafür entschlossen, drinnen im Warmen uns mit Tee und Kartenspielen die Zeit zu vertreiben, klingelte es an der Tür. Wir hielten inne und konnten aufgeregte Stimmen an der Tür hören. Elisabeth schwang ihre Beine aus dem Bett und stand auf: "Es ist soweit." "Was ist soweit?" fragte ich verwirrt und legte auch meine Karten beiseite. "Meine Familie wird heute deinen Vater kennenlernen." Sie strich sich ihren engen Rock glatt. "Magst du kommen?" Sie bat mir ihre Hand an. Immer noch etwas verwirrt starrte ich sie an und wartete auf eine Erklärung. "Du wirst schon sehen." meinte sie stolz: "Nun komm schon. Bald gibt es Abendessen." "Ja, gut." Ich nahm ihre Hand dankbar an und stand auf: "Wie meinst du es, sie lernen heute meinen Vater kennen?" "Ich zeige es dir." Elisabeth öffnete die Tür zum Flur und zusammen traten wir hinaus. Sie lief an mir vorbei, selbstbewusst und zielsicher zur Treppe. Dann öffnete sie den Mund und sagte mit einer liebevollen, lauten Stimme: "Arthur! Da bist du ja! Endlich geht es dir wieder besser! Ich habe dich so vermisst." Sie breitete die Arme aus und lief die Treppe hinunter. Unten verstummte das begrüßende Gemurmel. Ich schlich Elisabeth nervös und verunsichert hinterher. Oben am Treppenabsatz blieb ich stehen. Sofort wurde mir klar, wer der Mann war der sich nun zu meiner Freundin hinunterbeugte, sie fest in die Arme schloss und ihr einen Kuss auf die Wange drückte. Es war Giulio Sorrentino, ihr alter Freund, von dem sie mir vor einer Weile erzählt hatte. Er sah immer noch so gut aus, wie vor fünf Tagen. Eigentlich sogar noch besser. Er hatte sich schick gemacht, denn heute trug er Anzug und hatte seine Haare nach hinten gekämmt. Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Elisabeth musste ihn überzeugt haben meinen Vater zu spielen... "Vater." meinte ich etwas schwammrig und kam die Treppe hinunter. Giulio sah mich an und lächelte breit: "Manuela, meine liebe Tochter, komm her." Er umarmte mich und zwinkerte mir dann heimlich zu. Ich runzelte die Stirn. Links standen Elisabeths Eltern, sie mussten ihm die Tür geöffnet haben. "Es freut mich außerordentlich, dass ich hierher eingeladen wurde." verkündete Giulio nun: "Ich habe schon den Tag ersehnt, an dem ich endlich Elisabeths Eltern und ihre Geschwister kennenlernen darf." Er nahm Frau von Bernburgs Hand und küsste sie sanft. Herr von Bernburg, der seinen hageren Arm um seine füllige Frau gelegt hatte, beobachtete ihn skeptisch. Dann bat er uns alle ins Esszimmer. Eigentlich hatte ich Elisabeth heimlich zur Rede stellen wollen, doch sie lief mit Guilio an der Hand einfach an mir vorbei. Ich war entgeistert und positiv überrascht zur selben Zeit. Einerseits fand ich die Idee, dass Guilio meinen Vater spielen sollte, genial, andererseits fühlte ich einen Stich im Herzen, Elisabeth an der Hand eines attraktiven Mannes in ihrem Alter zu sehen. Und dann auch noch diese verliebten Blicke. Sie waren natürlich nur gespielt, doch trotzdem. Verdammte Eifersucht. Ich hätte mich am liebsten dafür geschlagen. Elisabeth liebte mich, und nur mich. Giulio war nur ein Freund, der gerade ziemlich gelegen vorbeischaute. Und er stand auf Männer. Ich hatte also nichts zu befürchten.

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