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"Was ist los?" Mir ging es furchtbar. Auf einmal war mir total übel. Ich schwitzte und zitterte am ganzen Leib. Mir war schwummrig und ich hätte am liebsten umgedreht und wäre weggerannt. "Jetzt reiß dich zusammen." zischte Margot und blieb vor einer großen weißen Holztür stehen: "Ich werde jetzt klopfen und wenn sie dich herein bittet, wirst du leise hineintreten, dich benehmen und alles machen was sie sagt, verstanden?" Sie packte mich an der Schulter: "Ich will keinen Ärger haben! Das beim Essen hat bereits gereicht!" "Okay..." krächzte ich leise. In meinem Hals steckte ein riesiger Klos. "Gut." Margot hob ihre Hand und klopfte dreimal hart gegen das Holz. Innen hörte man eine sanfte Stimme "Ja." sagen. Margot öffnete die Tür und drückte mich an der Schulter hinein. Flehend starrte ich sie an, aber sie gab mir nur einen weiteren kleinen, unsanften Schubser und schloss dann die Tür hinter mir. "Manuela." Ich riss den Kopf herum und sah die Prinzessin hinter einem großen Schreibtisch sitzen. "Welch sonderbares Kind du doch bist." Sie stand auf: "So sensibel und ängstlich. In dich gekehrt und trotzdem offen und naiv. Gleichzeitig einzigartig und stark. Wie nicht von dieser Welt." Ich zuckte zusammen. Sie kam hinter dem Pult hervor gelaufen und schaute mich eindringlich an. "So still..." Sie war mir nun ganz nah, legte ihre Hand an meine Wange und hob meinen Kopf an, sodass ich ihr zwangsläufig in die Augen schauen musste. Verkrampft stand ich da und ließ alles über mich ergehen. "Schöne blaue Augen hast du. Und lange, dunkle Haare. Ich verstehe. Ich wollte als Kind auch immer solche Haare haben." In meinem Inneren brach Chaos aus. Zu viele Gedanken und Fragen flogen mir durch den Kopf. Die Prinzessin ließ mich wieder los und trat einen Schritt zurück.

"Mein Mann und ich." Sie lächelte: "Wir kannten uns schon, da waren wir noch kleine Kinder. Unsere Eltern waren bereits befreundet gewesen und so trafen sich unsere Familien immer wieder. Dann heiratete meine Schwester den heutigen Kaiser und das schweißte unsere Familien noch stärker zusammen. Unsere Eltern waren überzeugt davon, dass wir beide, Leopold und ich, ebenfalls füreinander bestimmt waren." Sie hob ein eingerahmtes Foto vom Schreibtisch auf, nervös schielte ich mit darauf. Es war ein Hochzeitsfoto. "Wir heirateten im Sommer. Da waren wir nur ein paar Jahre älter als du es jetzt gerade bist. Aber wir taten, was für uns damals selbstverständlich war. Wir waren beide aus sehr adeligen Familien, beide dazu ausgebildet, uns richtig zu benehmen, sollten wir eines Tages in die Thronfolge eintreten. Damals waren wir nur gut befreundet gewesen, die innige Liebe entwickelte sich erst über die Jahre hinweg." Sie stellte das Bild zurück an seinen Platz und drehte sich wieder zu mir um. "Etwa ein Jahr nach der Hochzeit traf ich auf Elisabeth, damals war ich auch mit unserer Tochter schwanger." Sie lächelte und ihre Augen funkelten wie ein Smaragd im Sonnenschein: "Ich war alleine auf einer Reise durch das deutsche Kaiserreich. Elisabeth hatte gerade ihr Literaturstudium begonnen." Ich spürte förmlich wie mein Gehirn all diese Informationen zu verarbeiten versuchte, ich war zu aufgeregt um mich richtig konzentrieren zu können. Aber als der Vorname des Fräuleins fiel, gefror mir augenblicklich das Blut in den Adern. Wie aus der Pistole geschossen, verkrampfte sich mein Herz. "Sie kennen das Fräulein von Bernburg?" Ich schnappte überrascht nach Luft: "Wissen sie wo sie ist?!" "Ruhig, mein Kind!" Entschuldigend schloss ich meinen Mund und sah zu Boden: "Verzeiht." "Ich hatte mir schon gedacht, dass du so reagieren würdest." Ihr Kiefer spannte sich ein wenig an. Genau wie vor ein paar Tagen im Internat. "Ja, vor etwa 20 Jahren lernte ich das Fräulein von Bernburg kennen. Wir verstanden uns sofort, sie war unglaublich mutig und abenteuerlustig. Sie sorgte dafür, dass ich der Strenge des Königshauses für eine kleine Weile entfliehen konnte und mich endlich einmal frei fühlen konnte. Nur mussten wir uns schon bald wieder trennen." Die Prinzessin sah mir tief in die Augen: "Es muss dir wohl sehr ernst mit ihr sein. Natürlich habe ich von dem gehört, was nach dem Theaterstück passiert ist. Das widerrum ist überhaupt keine schöne Geschichte." Ich zuckte wieder zusammen und musste schlucken. Nie, nie, wirklich niemals in meinem Leben hätte ich gedacht, dass die Aktion solch ein Ausmaß an Konsequenzen nach sich ziehen würde. Elisabeth und die Prinzessin waren befreundet. Ich hatte nicht nur das Fräulein enttäuscht und für immer verloren. Ich hatte auch der Prinzessin Leid angetan und ihre Gunst verloren. Nichts würde mich aus dieser Situation retten können, ich wünschte mir so sehr ich wäre damals einfach ohne zögern hinuntergesprungen. Dann hätte mich der Engel des Todes geküsst und hinauf durch die Wolken zu meinen Eltern und Geschwistern ins himmlische Paradies gebracht. Welch schöner Gedanke das doch war. Jetzt erfüllte mich nur noch Panik und Flehen: "Es tut mir so unendlich leid, eure Hoheit. Bitte verzeiht mir, ich wollte unter keinen Umständen, dass so etwas passiert." Ich bemerkte wie der Klos im Hals wieder endlos größer wurde: "Bitte vergebt mir... Ich..." "Ich verzeihe dir." sagte sie ruhig, aber trotzdem bestimmt: "Aber es bricht mir das Herz zu hören, dass meine beste Freundin, die wie eine Seelenverwandte für mich ist, ihre Stelle als Lehrerin am Internat verloren hat. Wegen solch einer Angelegenheit. Sie hatte für euch ein großes Ziel vor Augen, das ich sehr gut hieß. Nun kann sie es nicht mehr erfüllen. Und daran bist unumgänglich du Schuld."

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