Ertappt

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Kurz vor dem Höllentor zur Drecksstadt angekommen, binde ich die Meermänner wieder zusammen, da sie offiziell immer noch Gefangenene der Krakaner sind. Mit hängenden Köpfen schlurfen sie hinter mir und Drifter her, der mit kräftigen Schlägen seiner Flosse durchs Wasser taucht. Ich, der sich mittlerweile an die Tentakel gewöhnt hat, sitze mit vorgestreckter Brust obenauf und halte die Kette in der einen Hand, während die andere scheinbar lässig auf meinem Schwertknauf ruht. Meine ganze Haltung strahlt Dominanz, Arroganz, Kälte und Selbstbewusstsein aus, eine coole Eleganz gemischt mit tödlicher Präzision und einer Prise Humor im Bezug auf die Gefangenen und dem Bewusstsein meines Ranges hier. Das ist aber nur eine Maske. Tadellos perfekt, denn mein rasendes Herz und die kleinen Schweißtropfen auf meiner Stirn scheinen niemandem aufzufallen. Lediglich Drifter merkt, dass etwas nicht stimmt, aber macht ganz auf gut trainiertes Reittier eines krakanischen Grafen.
Wir folgen der Straße, welche auch in der Stadt aus unterschiedlichen Knochen in allen Formen und Größen besteht. Endlich habe ich auch Zeit, mir die Gegend näher anzusehen. In Atlantis gibt es so etwas wie Sklaven oder Leibeigene nicht. Hier anscheinend schon. Überall sind Stände zu sehen, an welchen für ebendiese geboten wird. Andernorts kann ich Krakaner erkennen, die wohl hochwertige Kleidung tragen und an einer Leine Sklaven hinter sich herziehen. Zuerst denke ich, dass es Meermenschen sind, aber bei genauerem Hinsehen sind es Krakaner, denen die Tentakel durch Beine oder Schwanzflossen, wie die Meermenschen sie haben, ersetzt worden, ähnlich wie bei mir, nur habe ich eben Tentakel. Warum sie nur ihre eigene Art versklaven? Ich verstehe es nicht, es kann mir aber egal sein. Das ist nicht meine Baustelle, obwohl mir es im Herzen wehtut, dieses Leiden tatenlos mit ansehen zu müssen. Vor dem Palast angekommen wird mir schlecht und ich muss einen Würgereiz mühsam unterdrücken. Der ganze Palast besteht aus Knochen! Große, kleine, dicke und dünne Knochen. Wurgs. Überall patrouillieren Wachen auf den Wehrgängen und Haie schwimmen in Bahnen um die festungsähnliche Anlage herum. Das ganze Anwesen erinnert mich an einen geschändeten Friedhof, wo die Gräber der Toten ihrer sterblichen Überreste beraubt wurden, nur um diese zu einem Gebäude aufzutürmen, welches aussieht, als würde es jeden Moment umkippen. Die Auserwählten werden unruhig. Anscheinend bekommt dieser Anblick ihren Mägen nicht so gut, denn ich kann vereinzeltes Aufkeuchen oder Gefluche hören. Hart ziehe ich an der Kette. Wir dürfen nicht auffallen! Mit ausdrucksloser Visage treibe ich Drifter durch den Eingang. Innen ist es trotz der zahlreichen Lücken in der Knochenfassade düster und dunkel. Licht gibt es so gut wie keins, dafür aber einen unvergesslichen Geruch. Ein ekelhaft süßer, nach Tod und Verwesung schreiender Duft umschmeichelt meine Nase, obwohl passender ist, foltert sie. Meine Augen gleichen sich an die nicht vorhandene Helligkeit an und mustern die Umgebung. Circa 10 Meter vor mir sitzt auf dem Thron ein Gigant von Krakaner, der eine Krone auf dem Kopf trägt. Links und rechts des Thrones schweigen seine Wachen starr vor sich hin. Ein kurzes Räuspern meinerseits und ich habe die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Adlige, wie Sklaven, die sich ebenfalls hier aufhalten, starren mich an, als wäre ich irgendein Insekt, welches zu studieren höchst unterhaltsam wäre. Na ja egal. 《Meine Hochachtung Majestät. Ihr habt einen guten Geschmack, was Sklaven betrifft. Ich Graf Krakanerstrophe bringe Euch die gewünschte Ware. Sie ist einwandfrei. Ich wünsche noch einen guten Tag.》Ich habe einem der perplexen Adligen die Kette in die Hand gedrückt und wollte Drifter gerade wenden, da erfüllt tosendes Gelächter die Halle. Der König klatscht in die Hände und gluckst wie ein kleines Kind. Okay..., was läuft jetzt ab? 《Ihr seid also ein Graf, ja?》Verwirrt nicke ich, irgendetwas läuft hier ganz falsch. 《Wachen! Nehmt diesen Abschaum von Hochstapler fest! Und diesen Delfin ebenfalls!》Die Wachen, die gerade noch ausdruckslos vor sich hin gestarrt haben, setzten sich plötzlich in Bewegung. Innerhalb von Sekunden sind wir umzingelt. Ich drehe mich um. Nirgends eine Lücke in Sicht. Scheiße. Wir sind geliefert. Ich greife an die Scheide meines Schwertes und lege verstohlen die Hand auf den Griff. Sollten sie mich angreifen, bin ich schnell verteidigungsfähig.  Dachte ich. Ein dumpfer Schlag auf den Schädel und ich sinke kampfunfähig zu Boden. Bevor ich aber abdriftete kann ich sehen, dass Drifter nicht länger als Hai die Weltgeschichte beehrt, sondern seinen eigenen Körper wieder inne hat.  Auch meine Beine haben wieder die Vorherrschaft übernommen - das einzigst positive, was mir  an diesem Tag widerfahren ist. Eine nicht gerade angenehme Schwärze umfängt mich und die Stimmen um mich herum werden immer leiser, bis sie verstummen.

Der Wächter von AtlantisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt