Als wir ca. fünf Meilen von dem letzten Dorf entfernt anhalten, bekommen wir einen Anblick geboten, den zu genießen ich in meiner bisherigen Amtszeit als Wächter noch nie die Gelegenheit hatte. Die Schluchten selbst sind von Meermenschen unerforschtes Gebiet - kein Wunder eigentlich. Überall liegen verschrammte Rüstungsteile, ein verbogener Harnisch hier, ein Helm dort, zerbrochene Schwerter, die in vor sich hingammelnden Knochen stecken und die Zeit absitzen, sowie ausgeschlagene Zähne sind noch der ungruseligste Part dieser Szene. Eines steht fest: hier war schon lange keiner mehr. Und als Urlaubsziel, ist dieser Ort nicht unbedingt zu empfehlen.
Die Schriftrolle beginnt sich vor meinen Augen zu entrollen. Worte der Macht leuchten kurz auf.
Vielleicht ist das ein Spruch, der uns so stark macht, dass dieser Abschaum von widerlichen Kreaturen es gar nicht erst wagt, uns anzugreifen.
Da ich sehr optimistisch bin, sind die Worte schnell gesprochen: 《Hazar Krakanium elsas directar!》(Anmerkung: Bitte nicht nachmachen, das kann schlimme Nachwirkungen haben, der Autor haftet nicht für Katastrophen dieser Art 😅)
Ein Kribbeln erfasst meinen Körper, sodass ich mich am liebsten kratzen würde, aber kaum hebe ich die Hand, um genau das zu tun, hört das Kribbeln auf. Endlich. Ich will erleichtert aufseufzen, aber der Laut bleibt mir im Halse stecken, als ich mich zu Drifter umdrehe. Zumindest sollte er da sein. Ist er aber nicht. Stattdessen ist da ein riesiges UNGETÜM VON EINEM HAI!!!
Einer plötzlichen Eingebung nachgebend starre ich auf meine Beine. Sch...! Meine Beine sind weg! Stattdessen baumeln da Tentakel! Oh Neptunia, was habe ich getan, um deinen Zorn zu erregen? Obwohl, Moment mal. Der Spruch ist schuld, dass ich jetzt so aussehe, wie einer dieser verlausten Kreaturen, die sich intelligente Lebewesen nennen. 《Oh, man. Hoffentlich geht das auch wieder rückgängig. Sonst weiß ich nicht, ob ich noch ausraste.》Ich klettere mehr schlecht als recht auf Drifters Rücken. Gemeinsam lassen wir uns schließlich in die Finsternis hinab. Kaum sind wir unten, wird mir kalt. Aber nicht nur wegen der Temperatur die hier sicher um einige Grad gesunken ist, sondern auch, weil ich mich beobachtet fühle. Etwas hektisch werfe ich einen Blick nach hinten. Wurgs. Tatsächlich ein Kopf starrt mich aus kalten, leblosen Augen an. Die Grimasse angstverzerrt. Eine stumme, letzte Warnung. Wer hier weitergeht, ohne entsprechende Ausstattung (Tentakelbeine) kann sich jetzt von seinem mickrigen Leben verabschieden. Auch als ich mich wieder umdrehe, wird die Aussicht nicht gerade einladender. Überall liegen Knochen und bilden wohl so etwas wie eine Straße. Noch immer ist alles tot und leer. Keine Fische, keine Wasserpflanzen, kein gar nichts. Nur ein armer, kleiner Wächter in Gestalt eines Monsters und ein unternehmungslustiger Delfin, der nichts besseres zu tun hat, als als Hai die Welt zu retten. Na ja, oder es immerhin zu versuchen. 《Wir brauchen neue Namen für diesen.. ähm hoffentlich kurzen Besuch in der Hölle. Mal sehen. Du bist ab jetzt einfach nur Hai und ich Krakanerstrophe.》Zügig machen wir uns auf den Weg. Je schneller wir dieses Abenteuer hinter uns haben, desto schneller sind wir wieder daheim.
Als wir um eine Ecke biegen, setzt mein Herz ein Schlag aus. Mein Gesicht nimmt die Farbe einer Leiche an. Mir werden ein paar meiner Lebensjahre beraubt. Direkt vor unseren Augen ist ein riesiges Maul, bereit uns zu verschlingen, da es seine prachtvollen, riesigen Beißerchen zur Schau stellt. Aber was mich am meisten verblüfft, ist die Tatsache, dass Krakaner hier ein und aus schwimmen. Oh,... das Maul ist nur ein gigantisches Stadttor. Ups. Aber so nah betrachtet war es durchaus angsteinflößend! Egal, wir schwimmen weiter zum Tor. Wir schließen uns den Massen an und lassen uns mitziehen. Hoffentlich gibt's keinen Ärger mit den Wachen am Tor. Aber die lassen uns völlig unbehelligt rein. Einer salutiert sogar vor mir und scheucht die Menge aus meinem Weg. Wow. Anscheinend sehe ich wie eine hochgestellte Persönlichkeit aus. Perfekt, besser kann es gar nicht laufen. Aber wo ist der Haken? Egal, man sollte nicht den Teufel an die Wand malen, sonst kommt er vielleicht noch und versaut einem den ganzen Tag.
Die Stadt sieht nicht viel besser aus, als die restliche Umgebung. Dicht an dicht drängen sich kleine, schmale Häuser aneinander, die Gassen sind eng, dunkel und dreckig. Bettler lungern an Türeingängen herum und das Diebesgesindel scheint hier ein großes Einkommen zu haben. Auf einem Marktplatz (zumindest nehme ich das an) wurde eine gigantische Tribüne aufgebaut. Und wer steht drauf? Die Auserwählten. Anscheinend handelt es sich um eine Sklavenauktion, denn Preise werden gerufen, die Leute überbieten sich geradezu und es scheint kein Ende in Sicht. Die Auserwählten sehen... bescheiden aus. Lumpen bedecken gerade so noch ihre Intimbereiche und Narben ziehen sich über den ganzen Körper. Ihre Wangen sind eingefallen und von der einst so stolzen und arroganten Haltung ist nichts mehr übrig. Ihre Augen blicken willenlos in die Ferne, als wäre ihnen alles egal. Scheiße. Ich brauche sie bei Kräften, um sie hier rauszuholen. Leise flattert die Schriftrolle wieder zu mir und entrollt sich. Schnell packe ich sie, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Spruch leuchtet auf. Schnell sind die Wörter gesprochen und die Schriftrolle verschwindet wieder in meiner Tasche. Kurz darauf kommt der Versteigerer zu mir. 《Verzeihung, mein Graf, die Sklaven, die sie für Ihre Majestät bestellt haben warten auf der Tribüne auf Eure Befehle Sir.》《Aha, bring sie zu mir, aber flott! Ich warte nicht gern.》《Sehr wohl, der Herr.》Das schmierige Grinsen des Gegenübers beunruhigt mich, aber die Auserwählten werden gerade in Ketten hergebracht und mir bleibt keine Zeit, dieses Gebaren zu interpretieren. Der Mann überreicht mir die Ketten, welche ich wortlos packe. Hart ziehe ich sie schweigend aus dem Dreck dieser Stadt.
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Der Wächter von Atlantis
FantasyEin Abenteuer zu bestreiten ist das Eine. Unfreiwillig in ein Selbstmordkommando zu stürzen mit Aussicht auf niederschmetternde Ironie etwas ganz anderes. Wenn ich mich vorstellen darf? Ich bin Fley, einer der Wächter von Atlantis und dabei, blindli...