1- Eine unvorhersehbare Neuigkeit

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Eine Stimme erhob sich über das Wasser und glitt über die Wellen. Ihr süßer unwiderstehlicher Ton schwang sich mit der Meeresbrise hinauf in den klaren blauen Himmel, der Sonne entgegen und schwoll an, bis man ihn über Kilometer hören konnte. Da hob sich der Kopf eines riesigen beschuppten Pferdes aus dem Meer. Angelockt durch den Gesang, wandte das Tier sein Haupt der Stimme entgegen. Die lila-grün schimmernden Schuppen glitzerten unter den Sonnenstrahlen und die flossenartige Mähne tropfte vom salzigen Wasser. Seine Augen glänzten neugierig und es begann dem Gesang zu folgen.

Nach einem guten Kilometer, der für das Wesen leicht bewältigt war, sah man in der Ferne ein Burg aus den Fluten aufragen. Sie trug den Namen Malkipel und war auf einer steinernen Insel erschaffen worden. Von hohen Mauern umragt, war sie fast uneinnehmbar, nur ein großes Tor wies einen Eingang auf. Diesen konnte man aber nur durch eine Brücke erreichen, die die Inselburg mit einer weiteren kleineren Insel verband, an der man leicht mit einem Boot anlegen konnte.

Doch der Gesang kam nicht von dieser Seite der Insel und so umrundete das Wesen, versteckt hinter Wellen die Burg und erreichte alsbald einen versteckten Tunnel, der in das Innere des Gesteins führte. Kurz zögerte das Tier. Seine scheue Natur hinderte es eigentlich daran sich dem Menschenbau noch mehr zu nähern, doch die unwiderstehliche Stimme und seine eigene Neugier gewannen die Oberhand. Es glitt durch den schmalen Tunnel und schon nach wenigen Metern öffnete er sich in eine wunderschöne kleine Grotte.

Die Wände des runden Raumes waren glatt und glitzerten dank ständiger Feuchtigkeit. Hoch oben in der gewölbten Decke, war ein dünner langer Spalt durch den spärchlich Sonnenstrahlen einfielen. Lichtspiele huschten über die nasse Oberfläche der Grottenwand und gaben der Grotte etwas Mystisches. Weiter hinten, wo die Grotte ihr Ende fand und Felsen aus dem Wasser ragten, gab es einen engen Treppenaufgang, der wohl nach oben zur Burg führte. Und da auf den Felsen war der Ursprung der Stimme. Ein Junge, dreizehn Jahre alt, saß dort und blickte verträumt in das Farbenspiel des Wassers. Dabei sang er ganz entzückend, sodass sich bereits bunte Fische zu seinen Füßen tummelten. Das Wesen schwamm weiter heran, bis der Junge plötzlich seinen Kopf hob und aus großen Augen den Wasserwandler anschaute.

Wie der Gesang erstarrte, so erstarrte auch das Wesen. Unsicher was nun zu tun war, beobachteten sich der Mensch und der Wandler, bis schließlich ein niedliches Lächeln über die Lippen des Jungen glitt und er wieder seinen Mund öffnete um zu singen. Dabei hob er langsam seine kleine Hand und streckte sie dem Wesen entgegen. Es dauerte einen Moment, doch schließlich, von einer ungewohnten Welle des Vertrauens ergriffen, näherte es sich wieder. Dabei musste es sich mit seinen Vorderbeinen, die halb Pferd- halb Fisch waren, auf die etwas niedrigeren Felsen hinaufhieven. Als sein großer schuppiger Körper währenddessen halb das Wasser verließ, glänzten die offenbarten Stellen wie viele kleine Diamanten. Schließlich musste das Wesen nur noch seinen Kopf recken, bis die nasse Schnauze die warme Haut berührte. Wesen wie Mensch rührte sich für diesen einen friedlichen Moment nicht. Lediglich der Gesang war noch wahrzunehmen und verbreitete wie zuvor seine beruhigende Wirkung.

„SOHN DES ERSTEN REITERS UND FLUCH MEINER EXISTENZ! TAEEE!!! WO BIST DU SCHON WIEDER!?"

Mit dem Geschrei waren auch Schritte aus dem Treppenaufgang hinter dem Jungen zu hören. Entsetzt wich das Wesen zurück und warf sich panisch zurück ins Wasser. In Sekundenschnelle war es durch den Tunnel verschwunden. Der Junge sah dem Wandler ungläubig und traurig hinterher, bis sich sein Blick schließlich verfinsterte. Als schließlich der Rufende in der Tunnelöffnung erschien verschränkte er schmollend seine Arme vor der Brust und machte sich nicht mal die Mühe, sich umzudrehen.

„Da bist du ja. Weißt du wie lange ich dich schon suche? Du darfst nicht immer einfach so verschwinden, Tae! Dir hätte sonst was passieren können! Und hast du etwa vergessen, dass du noch Training hast?"

** WELLENREITER **Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt