19- Was braucht es mehr als ein Versprechen?

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Die Sonne ging gerade am Horizont auf, ließ die Wellen golden schimmern und brachte eine frische Morgenluft mit sich.

Möwen kreisten am Himmel und begleiteten die stille Prozession der Wellenreiter und Burgbewohner vor die Mauern von Malkipel, runter zur kleinen Insel.

Dort blieben sie an dem Steg stehen, wo schon ein kleines Fischerboot wartete. Ausgeschmückt mit Anhängern und bemalt mit alten Runen, die Schutz und Geleit bringen sollten.

Ein Junge trat aus der Menschenmasse, ordentlich zusammengefaltete Kleidung in der Hand, die er nun behutsam in das Boot legte. Wieder senkte sich Stille über die Versammlung. Der Junge schloss die Augen und schien für kurze Zeit an einem anderen Ort zu sein.

An einem Ort, wo er das Geschehene vergessen und die Vergangenheit ihm, mit all den kostbaren Erinnerungen, Trost spendete.

Dann erhob sich plötzlich ein leiser Klagegesang. Die Frauen hatten mit ihren sanften Stimmen dazuangesetzt, während sich zwei Männer daran machten das Boot vom Steg zu lösen.

Kaum war das getan, stimmten die Männer in den Gesang mitein und ein Seedrache tauchte aus den Wellen auf. Vorsichtig nahm er das Seil, das zuvor am Steg gebunden war, in sein Maul und begann es langsam fortzuziehen.

Er brachte es immer weiter hinaus, ließ es ab einem bestimmten Punkt los und überließ dem Boot sich selbst.
Der Gesang dauerte an, während die Menschen ihren Blick auf den sich immer weiterentfernenden Punkt am Horizont gerichtet hatten.

Erst als dieser verschwunden war, verstummten sie und verließen einer nach dem anderen die kleine Insel und kehrten zurück ins Innere der Burg.

Nur der Junge blieb wo er war und starrte weiterhin in die Ferne, während ihm leise Tränen über die Wange rannen, die er nicht mehr zurückhalten konnte. Waren sie doch der Neuanfang von einem Leben, von dem er gehofft hatte, es niemals erneut zu erfahren.

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Es war merkwürdig, wie still es wurde, wenn plötzlich etwas fehlte, dass immer da gewesen ist.

Wie plötzlich all die Farben verschwanden und damit all die Freude, die man verspürt hatte. Kein Essen schmeckte mehr, kein Sonnenschein wärmte mehr, keine Unterhaltung interessierte mehr und kein weiterer Atemzug wird mit Leichtigkeit getan.

Die Leere, die hinterlassen wird und von nichts anderem gefüllt werden kann, erstickt einen.
Man hatte nach ihm gesucht, sogar die ansässigen Wasserwandler und die Bewohner des Festlandes befragt, doch niemand hatte den Jungen gefunden.

Kook war schlussendlich als tot erklärt worden. Man vermutete, dass der Wirbelsturm seinen Körper mit sich genommen hatte und dieser nun irgendwo auf dem offenen Meer war.

Es war eineinhalb Monate her, dass Kook verschwunden war. Bevor er sein Versprechen gebrochen und ihn allein gelassen hatte.

Eineinhalb Monate musste er sich schon mit dem Gedanken abfinden, dass Kook in dem Unwetter umgekommen war und es nichts gab, was er dagegen tun konnte. Sie hatten ihn vor zwei Wochen verabschiedet.

Hatten ein Boot-des-Wiedersehens ohne Körper aufs Meer entlassen und Tae konnte nicht von dem Gedanken, dass Kooks Seele ihn nun entgültig verlassen hatte.

Tae schüttelte sich, als er an das Bild von seinem Bruder dachte, wie er ihn das letzte Mal angeschaut, das letzte Mal mit ihm geredet hatte und dieser dann einfach in den Sturm und seinen sicheren Tod gelaufen war.

Es hatte Tage gedauert, bis er Jin, der ihn festgehalten hatte, verzieh. Schlussendlich hatte er sein Leben gerettet, aber auch wenn er Jin verzieh konnte er ihm nicht dankbar sein.

Wie auch? Wenn er nun ohne Bruder war? Ohne die eine Person, die ihn so stark unterstützt, verstanden und geliebt hatte wie kein anderer? Was sollte er ohne diese Person tun, ohne die er doch nichts war?

Er konnte nur in seinem Zimmer sitzen und warten, bis die Lähmung, die seinen Körper und Geist eingenommen hatte, verging.

Doch egal wie lang er wartete und wie lange er versuchte sich endlich zu etwas zu bewegen, es ging einfach nicht.

Selbst Jin, der jeden Tag versuchte ihn aus seiner Starre zu holen, konnte nichts an seinem Zustand ändern.

Und so saß er nur in seinem Bett und starrte an die leere Wand. Das einzige, was ihm Trost spendete, war der Kapsianhänger, den er fest mit der Hand umklammert hielt. Ein leichtes Pochten ging von ihm aus, dass sein stillgelegtes Herz ersetzte.

Ein Klopfen ertönte, doch der Junge, der gerade erst von dem Schlaf erwacht war, der ihn wie üblich erst spät in der Nacht ereilt hatte, regte sich nicht.
Als sich die Tür öffnete und sich die Matratze des Bettes senkte, schaute er nicht auf.

Die Person neben ihm schwieg eine Weile und tat auch sonst nichts, bis Tae schließlich spürte, wie sich eine warme Hand auf eine Wange legte und begann sanft über die frischen Tränenspuren zu streifen.

„Du solltest den Schmerz keine Überhand ergreifen lassen.“, murmelte Malva sanft.

„Du wirst die Leere nicht füllen indem du nichts tust.“

Tae schnaubte: „Als würde ich sie füllen wollen.“

„Warum solltest du das nicht wollen?“, fragte sie verdutzt.

Tae ließ mit der Antwort auf sich warten doch erwiderte dann durch zusammen gepresste Zähne: „Ich werde Kook nicht ersetzten. Niemals!“

Malva schüttelte den Kopf: „Das habe ich doch auch gar nicht gesagt. Wer könnte dir denn die Erinnerung nehmen, an einen Menschen der dir so Nahe stand? Niemand. All diese Erinnerungen sind ganz tief in deinem Herzen gesichert. Glaub mir, da kommt man nicht dran. Das bleibt.“

Tae schwieg und hofft ganz fest, das Malva Recht hatte.

„Was dir mehr Sorgen machen sollte, ist diese Leere, die dir alles nimmt. Denkst du Kook hätte gewollt, dass du dich so verhältst wie jetzt?“

Tae bewegte sich leicht auf dem Bett und schüttelte nach einer Weile seinen Kopf.

„Denkst du er wäre glücklich, dort wo er jetzt ist, wenn er sieht was du hier geschehen lässt?“

Tae schüttelte erneut den Kopf. Wieder sammelten sich Tränen in seinen Augen.

„Mein Sohn hat dir so viel gegeben, dir so viel geholfen, dich so sehr geliebt. Meinst du nicht du solltest das nicht zu Nichts werden lassen? Meinst du nicht er verdient in deinen Taten und in deiner Zukunft weiterzuleben?“

Tae schluchzte leise, und nickte dann.

Malvas Hand die bisher seine Wange gestreichelt hatte fuhr nun zu seinem Arm und tätschelte ihn bedacht, bevor sie seufzte und aufstand, um den Raum zu verlassen.

Als sie gerade die Tür öffnen wollte ließ Tae sie nochmal zum Halten kommen.
„Aber was ist, wenn ich das alles ohne ihn nicht packe?“

Malva drehte sich mit einem sanften Lächeln zu ihm um: „Ich weiß, dass es gerade unmöglich erscheint, aber du wirst es schaffen, egal was, wenn du nur weißt, für was du es schaffen willst.“

Sie deutete mit ihrem Finger auf den Anhänger in Taes Hand.

„Was brauch es mehr, als eine Erinnerung oder ein Versprechen?“

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Ein kleines melancholisches Kapitel. Ich hoffe es gefällt euch. Lasst gerne ein Sternchen da!

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