Der Schlaf. Er war tief und erlösend, doch er würde sie umbringen, denn sie würde nicht mehr erwachen. Sie sah eine Kerze, sie war tiefschwarz, doch ihr Licht war weiß. Erhellend. Wegweisend. Warm. Sie wusste, dass sie ihr helfen würde, sie konnte sie retten, doch sie musste sie finden. Irgendwo in dieser Dunkelheit würde sie sie finden, sie wusste, das Licht würde ihr Herz erhellen. Sie musste aufwachen, sie musste kämpfen. Sie schwamm. Durch die Zeit hindurch in das Licht, die Dunkelheit wurde kleiner. Gleißendes Licht empfing sie, und sie wusste, dass sie nun endlich erwacht war. Ihr Blick glitt wild umher, bis sie fand, was sie suchte. Die Kerze brannte.
Doch etwas war anders, sie war nicht mehr schwarz, sie war weiß geworden. Aber sie leuchtete schwarz wie die Nacht. Und sie brannte schnell, sie musste sich beeilen, sie zu erreichen, bevor sie vollständig herunter gebrannt war. Sie wollte rennen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht, es war, als würde sie auf der Stelle rennen. Sie schrie, man solle sie laufen lassen. Sie stolperte, als sich ihre Beine lösten, doch sie lief unbehelligt weiter, nur darauf bedacht, zu der Kerze zu kommen. Sie hatte das Gefühl, der Docht würde umso schneller brennen, desto schneller sie lief. Sie sprang, griff nach der Kerze.
Doch nur eisige Luft strich ihre Hand. Es wurde dunkel. Die Schwärze war zurück gekehrt. Sie war nicht schnell genug gewesen, ihre Zeit war vorbei. Die Kerze war erloschen und sie war gefangen. Sie wusste, sie würde bleiben müssen. Bleiben, bis der Wahnsinn Besitz von ihr ergriffen hatte, bis ihr Verstand eben so schwarz wie ihr Gefängnis wäre. Sie lauschte in die Stille hinein, vielleicht, konnte sie die Melodie hören, vielleicht würde sie spielen, sie trösten, sie vor dem Wahnsinn bewahren. Doch es blieb still.
Salzige Tränen tropften in das Nichts. Sie waren rot. Rot wie Blut, sie waren ihr Blut. Sie musste sie stoppen, der Kelch des Lebens würde überlaufen. Doch sie konnte nicht, der Kelch füllte sich, Tropfen für Tropfen füllte er sich. Sie lachte. Ein lautes, wahnsinniges Lachen. Sie würde sterben, doch es war nicht mehr wichtig. Nichts war mehr wichtig, außer das Nichts selber.
Ihr Lachen wurde lauter, ihr Herz blutete und der Kelch des Lebens war übervoll. Ein Tropfen würde ihn zum Überlaufen bringen, eine Träne, ein Lachen würden ihr Herz zerfetzen. Und dann erklang sie. Diese Melodie, doch sie war anders, sie klang fremd in ihren Ohren. Die Musik wurde leiser, sie entfernte sich. Sie musste sie jagen, sie fangen, sie endlich besitzen und ihr Herz damit füllen.
Sie musste sterben, um zu leben. Und sie musste leben, um zu sterben.
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Die Stille des Seins
PoetrySie deuteten auf den Schatten. Er tat seinen riesigen Schlund auf, sie sah seine blitzenden Zähne. Stille. Die Stille des Seins.