fifty-two

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Ich starrte seit wahrscheinlich schon zehn Minuten auf das geöffnete Fenster auf meinem Handy, welches die Bestätigung haben wollte, dass ich die Bilder und Videos löschen wollte oder nicht. Meine Augen brannten und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich es wollte - also die Bilder löschen. Das war nichts, was mich mit ihm verband. Bilder von ihm hatte doch jeder Fan auf dem Handy. Sie waren nicht nur für mich da. Wir hatten uns nie zusammen fotografiert oder Selfies gemacht, da unsere Beziehung solche Dinge nicht brauchte. Jetzt wäre ich froh gewesen nur ein einziges Bild von ihm zu haben, welches nur für mich da war. Ein letztes, kleines, persönliches Detail. Aber da war nichts geblieben, außer seiner Vorliebe für Latte Macchiato und dem Fakt, dass er mein erstes Mal gewesen war. Das erste Mal, welches er schon längst an jemanden verloren hatte, der jetzt hundertprozentig - wie die halbe Erdkugel - Army war und damit angeben konnte es gewesen zu sein. Ich wollte damit nicht angeben. Ich wollte einfach nur noch ein kleines Ding haben, welches mich an ihn erinnern würde. Was auch von ihm selbst hinterlassen wurde.
Und am Ende entschied ich mich dagegen die Bilder vom Handy zu löschen. Ich versteckte den Ordner einfach nur irgendwo da, wo ich ihn nie wieder finden würde.

Ich starrte die ganze Zeit auf unseren Chat und konnte selbst beobachten, wie meine Tränen auf den Bildschirm tropften. Es war aus und vorbei. Ich hatte ihr Vertrauen komplett gebrochen und würde es nie wieder aufbauen können. Dieser Gedanke; nur allein dieses Gefühl ließ den Kloß in meinem Hals so sehr schmerzen, dass ich kaum noch atmen konnte. Wenn ich gewusst hätte, was sich aus dieser simplen Nachricht entwickeln würde, hätte ich es niemals getan. Sie niemals angeschrieben, auch wenn sie bis jetzt wahrscheinlich die schönste Zeit in meinem Leben war. Ich konnte auf sie warten, wenn sie zur Schule ging und ihr eine gute Nacht wünschen, wenn es Zeit wurde ins Bett zu gehen und am nächsten Morgen fit zu sein. Und dann bemerkte ich, dass sie mich nicht einmal geblockt oder gelöscht hatte...

Ich konnte ahnen, was in Jeongguk vorging. Entweder würde er mich mit Nachrichten und Entschuldigungen überhäufen, oder er würde einfach vor meiner Haustür auftauchen. Diese Wohnung war plötzlich nicht mehr der Ort, an dem ich mich wohlfühlte. Er bedeutete jetzt nur noch Schmerz für mich und ich musste hier raus. Ich musste anfangen zu lernen ihn zu vergessen. Und dafür ging ich nach oben und packte die wichtigsten Sachen in meine Reisetasche. Pullover, T-Shirts, Jeans, bequeme Jogginghosen, Socken und Unterwäsche. Danach nahm ich noch das neue paar Schuhe aus dem Schrank, stopfte es noch an die Seiten und nahm dann all meine Kabel und Ladegeräte für den Laptop, die Uhr und das Handy, damit ich endlich hier verschwinden konnte. Eine Auszeit war genau das, was ich jetzt brauchte. Kurz nachdem ich den Mantel und das andere paar Schuhe im Flur angezogen hatte, nahm ich meine Handtasche dazu und den Schlüssel für die Wohnung - entschied mich nochmal kurz dagegen, gleich zu gehen. Also ging ich nochmal schnell in die Küche, nahm ein Blatt und schrieb darauf, dass ich für unbestimmte Zeit nicht mehr hier wohnen würde. Also nahm ich noch eine Klarsichtfolie und Klebeband, um es dann von außen an meine Tür zu kleben. Danach drehte ich mich um und rief Soyeon an.

Ich war so schnell wie noch nie aus diesem Haus gestürmt, während ich fast einen meiner Hyungs umgerannt hatte. Heute dienten der Mundschutz und die Mütze nur dafür, dass niemand sehen würde, dass ich geheult hatte. Den halben Weg war ich mit dem Mantel gerannt, bis ich bemerkte wie sehr ich schwitzte. Keuchend lief ich um die letzte Ecke und sprintete dann nochmal bis zu ihrem Haus, während ich bereits auf die Klingel gedrückt hatte ohne den Zettel zu lesen, der mir jetzt erst auffiel. Mit großen Augen sah ich die Schrift an. "Nein", hauchte ich leise und bemerkte dann, dass mein Blick verschwamm. Ich wusste, dass es die Tränen waren, die erneut in meine Augen stiegen. Trotzdem wurde mir schwindelig und ich stützte mich benommen an dem Geländer ab, welches die Treppen nach oben führte. Ich konnte nicht mehr. Sie war weg. Endgültig. Wie dumm du warst, heulte ich in meinen Gedanken und ging dann wieder langsamer zurück, wobei ich nicht darauf achtete, wohin ich ging und welchen Weg ich nahm. Als ich jemanden anrempelte, sah ich entschuldigend auf - und sah ihr direkt in die Augen.

Ich war die ganze Zeit auf dem Weg zu Soyeon gewesen, während ich benommen von dem, was ich die ganze Zeit über von Jeongguk hören musste, fast schon taumelnd den Fußweg verfehlte und auf die Fahrbahn der Autos geriet. Als eines dicht an mir vorbeifuhr und hupte, sah ich ihm hinterher und dann auf die nächsten, die immer stetig und konstant nachrückten. Es war nie eine Option in meinem Kopf gewesen, aber was wäre, wenn ich einfach komplett verschwinden würde? Ich hielt mich von dem Gedanken ab mich vor ein Auto zu werfen. Aber in ein Taxi oder einen Bus steigen, einfach woanders hinfahren und dort einen Neuanfang starten? Auf dem Dorf? Wo man keinen Empfang hatte, keinen Fernseher. Nur die Zeitung, die Nachrichten überbrachte, damit ich nicht ein Ding mehr von Jeongguk hören, sehen, lieben musste. Ich stand schon fast auf der Straße, als ich richtig zur Seite taumelte, als mich jemand in seinen Gedanken versunken anrempelte. Mit großen, roten Augen sah ich auf - und sah ihm direkt in die roten, flimmernden Augen, die nicht ruhig auf der Stelle standen, sondern immer hin und her huschten, während Tränen in ihnen aufstiegen. Doch ich konnte nicht. Ich konnte mich nicht einen Millimeter von der Stelle rühren. Ich wollte ihn einfach zurück, egal wie weh mir die Wahrheit tun würde. "Darf ich es dir endlich erklären?", fragte dann seine gebrochene Stimme.

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