10.

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Ich schaue ihn immer noch verwirrt an und verstehe nicht, was er genau meint. Warum sollte ich mir keine Gedanken machen?

Klar, ich habe nichts verbrochen und vom Ding her kann es mir egal sein, was mit ihm passiert, wenn die Polizei ihn schnappt. Aber wird mir die Polizei überhaupt glauben, dass ich nicht in dieser ganzen Sache verwickelt bin und nur zufällig im Auto saß und mitgefahren bin? Nicht, dass sie denken ich sei eine Komplizin von Kyle, die ihm bei der Flucht geholfen hat.

Na gut, irgendwie bin ich ja schon teilweise zu seiner Komplizin geworden, ab dem Moment wo ich ihm geholfen habe und jetzt uns zu "retten" versuche. Immerhin habe ich genau das jetzt bekommen, was ich die ganze Zeit wollte. Ein aufregendes Leben.

Aber sollte ich wirklich das Risiko eingehen?

Vielleicht sollte ich ja jetzt erst einmal dafür sorgen, dass wir beide der Polizei entkommen, bis wir dort angekommen sind, wo er hin will und ich auf mich alleine gestellt bin. Und ab da kann er mir ja egal sein. So komm ich nicht in Kontakt zur Polizei.

Ist das realistisch?

Nein?

Ok.

Kyle hat anscheinend gemerkt, dass ich verwirrt bin, denn er unterbricht meine Gedanken und erklärt was er gemacht hat.

"Wir brauchen uns um das Nummernschild erstmal keine Sorgen zu machen, da ich sie eben, als du weg warst, mit einem anderen von dem Auto da drüben getauscht habe."

Ich ziehe ungläubig eine Augenbraue hoch und blicke in die Richtung des Autos. Es ist ein Schrottes Auto, welches wie unser Auto abseits von der Raststätte steht. Ich drehe mich wieder zu Kyle und schaue ihn misstrauisch an.

"Das ist aber nicht Legal."

"Süße, möchtest du lieber zur Polizei, die dich höchstwahrscheinlich auch für einen Straftäter halten werden, die mir bei der Flucht geholfen hat?"

Also war mein Gedanke doch nicht ganz falsch.

"Aber ich habe doch nichts gemacht? Außerdem hat Caleb ihnen bestimmt gesagt, dass ich mit ihm eigentlich unterwegs war."

"Ach Kleine. Die Polizei verändert hier gerne mal die Ereignisse so um, wie es ihnen gefällt, sodass sie die Fälle leichter lösen können. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung. Sollte dir eigentlich auch bekannt sein, falls du Actionfilme schaust."

Ich nicke nur über seine Worte und denke drüber nach. Er hat recht. Abrupt erinnere ich mich an den Fall von den "Central Park 5", als ihnen auch von der Polizei Beschuldigungen aufgedrungen wurde, ohne einen richtigen Zusammenhang. Hab dazu mal die Serie bei Netflix geschaut und viel darüber gelesen, wie die fünf Jugendliche für eine Vergewaltigung einer Frau beschuldigt wurden. Zwar sind sie nach sehr vielen Jahren entlassen worden, aber trotzdem ist das heftig.

"Ja du hast Recht. Das spielt keine Rolle. Aber wie hast du das so schnell geschafft, ohne dabei gesehen zu werden?"

"Erstens, hier sind weit und breit keine Menschen, außer die in der Raststätte und wir sind ja auch abseits von dort. Und außerdem ist das ganz leicht zu wechseln, dafür braucht man kein Werkzeug. Meine Hände sind sehr fähig und schnell."

Ok. Warum habe ich das Gefühl, dass er mit dem letzten Satz auch was anderes zweideutiges meint?

Und, dass ich mit meinen Gedanken nicht ganz falsch liege, bestätigt mir sein dreckiges Grinsen.

"Möchtest du mal die Erfahrung machen?"

Mir schießt sofort die Röte ins Gesicht und muss plötzlich anfangen laut zu husten.

"Wa- was meinst du damit?"

"Na, ob du auch mal Nummernschilder wechseln möchtest?"

Und ich atme wieder erleichtert aus.

"Was dachtest du denn, was ich meine? Liebe Grace?"

Und da erscheint wieder der wissende Blick und dieses Grinsen.

"N-nichts."

"Ok, wenn du meinst."

"Aber das mit dem neuen Nummernschild wird doch nicht lange nützen. Der Besitzer des anderen Autos wird das doch merken und der Polizei bescheid geben?"

"Ja das stimmt. Aber das Auto scheint ein Unfallwagen zu sein, ob es wirklich noch einen Besitzer hier hat, hab ich keine Ahnung. Bestimmt schon, aber bis die Polizei davon erfährt und was unternimmt, haben wir noch etwas Zeit."

Er sagt das ganz entspannend mit den schultern zuckend und gähnt am Ende des Satzes. Jetzt fällt mir auch auf, dass es schon dunkel geworden ist und er leichte Schatten unter seinen Augen hat. Er sieht ziemlich fertig und erschöpft aus.

"Lass uns weiter fahren. Diesmal fahre ich."

"Nein, alles gu-..."

"Nein Kyle! Ich fahre. Du siehst echt müde aus und ich will noch lebend ankommen."

Grinsend nehme ich den Autoschlüssel aus seiner Hand, als er nachgibt und auf die Beifahrerseite zu geht. Mit schnellen Herzklopfen setze ich mich auf den Fahrersitz und umfasse mit schwitzigen Händen das Lenkrad. Das ist jetzt das erste Mal, dass ich nach meinem Führerschein ein Auto fahre. Und dann auch noch ein Ferrari!

"Was ist denn los? Doch nicht mehr so sicher zu fahren?"

"Hmm? Doch, doch. Klar, alles gut."

"Bist du überhaupt schonmal gefahren?"

"Ähhm. Ja klar! Sehr oft schon sogar."

"Ah ja. Na dann, fahr mal los."

Mit einem Nicken drehe ich den Schlüssel im Zündschloss und trete auf die Gas Pedale.

Lieber Gott, bitte stehe mir bei und lass mich keinen Unfall bauen.

Ich merke erst jetzt, wie sich Caleb heute Vormittag gefühlt haben muss....

ESCAPE  | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt