12. Dezember

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Jacob POV

"Bereit?" Vorsichtig lege ich die Nadel an Everlys Arm an. Sie nickt und verzieht das Gesicht ein wenig, als ich in ihre Haut steche. Normal habe ich kein Problem damit, Leuten auf diese Art Medikamente zu verabreichen, aber sobald es sich um Everly handelt, habe ich ein schlechtes Gewissen. Zu sehen, wie es ihr schlecht geht macht mich fertig.

"Wie lange muss ich hier jetzt bleiben?" Eine Schwester gibt ihr die Infusion und stellt alles richtig ein.

Ich kläre nochmal mit Everly das wichtigste und muss dann noch in dem OP, da ich bei einem Oberarzt der Neurologie assistieren soll. Die Chance in ein Gehirn zu schauen, kann ich mit nicht entgehen lassen.

Alles läuft wie geplant und schon nach wenigen Stunden kann ich wieder zu Everly. Ich klopfe an ihre Tür. Ganz leise kann ich ihre Stimme hören. "Herein."

Sie klingt ja gar nicht gut und sieht auch nicht besser aus. Die restliche Farbe, die heute morgen noch in ihrem Gesicht war, ist verschwunden. "Was ist passiert?"

"Das Medikament..." Ihr atem ist schwer. "Ich glaub ich reagiere da nicht so gut darauf. Meine anderen Medikament, die ich bis jetzt genommen habe, haben auch Nebenwirkungen. Vielleicht wird das hier ja mit der Zeit besser, ich muss dem Medikament erstaml die Chance geben, eventuell zu wirken."

Dieser Optimismus den sie hat, überrascht mich aufs Neue und auch, wie sie versucht das Beste aus ihrem Leben zu machen, trotz der Krankheit. Schon wieder muss sie husten und das endet in einem regelrechten Anfall. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schrecklich das für sie sein muss. Diese Schmerzen und keine Luft zu bekommen, das muss doch auch mit Angst zusammenhängen in diesen Momenten, immerhin erstickt sie fast. "Brauchst du Sauerstoff?"

Als sie nickt, hole ich sofort ihr Beatmungsgerät aus der Ecke und kann nicht aufhören, sie anzustarren, bis sie wieder halbwegs ruhig Luft bekommt. Wenn ich nicht arbeiten müsste, wäre ich den ganzen Tag bei Everly geblieben. Sie braucht aber auch ihre Ruhe. Durch das Medikament geht es ihr nicht gut und ich kann mich nicht an sie hängen, wenn  sie eigentlich im Bett liegen sollte, um sich auszuruhen. Besonders ich als Arzt sollte sowas wissen und respektieren.

***
Meine letzte Aufgabe für heute ist getan, endlich Feierabend. Sofort gehe ich zu Everly, die wahrscheinlich auch noch Papierkram wegen der Studie ausfüllen durfte. Vielleicht geht es ihr ja jetzt ein wenig besser. Ich werde enttäuscht. Sie stochert in ihrem Abendessen herum, von dem sie, wie es aussieht, noch keinen Bissen herunterbekommen hat.

"Oh, hi Jacob." Ihr Lächeln versetzt mir einen Stich in die Brust. Sie klopft neben sich aufs Bett und rückt zur Seite. "Setz dich doch zu mir und erzähl mir von deinem Tag."

Dazu muss sie mich nicht zweimal auffordern. Ich beginne damit, ihr nach und nach zu schildern, was heute so passiert ist und sie legt ihren Kopf an meine Schulter. So kann sie gerne eine Weile liegen bleiben. Ihre Haare riechen angenehm. Wow, was denke ich da nur? Sie ist nur eine Freundin, mehr nicht, aber sie ist wunderschön, trotz der Krankheit. Ich hätte derjenige sein müssen, der mit ihr zu Abschlussball gegangen ist, nur weil ich nicht die Eier hatte zu fragen, ist dieser Schnösel Jack mit ihr da hin, um mit ihren Gefühlen zu spielen und sie dann abzuservieren. Was auch immer Leute dazu treibt, so mit Menschen zu spielen, ich kann es nicht verstehen und hoffe ich werde nicht so. Irgendwie habe ich ja schon einen Schritt in diese Richting gemacht, als ich Everly in diese Studie gebracht habe. Wahrscheinlich bringt es ihr nichts, aber er wirkt auf mich schon wie ein Zeichen, das ich nicht ignorieren kann, wenn ich meine Doktorarbeit über das Edward-Carstairs-Syndrom hatte und dann noch in einer Studie arbeite.

"Everly?" Sie ist so leise, vielleicht geht es ihr gerade schlechter. Ich probiere es nochmal, sie anzusprechen, doch ich bekomme keine Antwort, dann höre ich sie flach atman. Wahrscheinlich schläft sie, was ich ihr keinenfalls übel nehnen kann.

Für ein paar Minuten schaue ich sie nur an. Was für ein seltsamer Stalker bin ich nur geworden? Die Zeit ist reif um wirklich mal meine Beziehung zu ihr zu überdenken. Gäbe es die Möglichkeit, ihre Krankheit auf mich zu nehmen, würde ich es machen.

Wenn ich mir so vorstelle, ich könnte mit ihr zusammen sein, ist es wunderschön, nur durch ihre Krankheit ist es zu kompliziert. Außerdem hat sie doch eh andere Probleme und fühlt bestimmt nicht das gleiche wie ich.

Everly da liegen zu sehen, macht mich traurig. Wie sehr sie nur leidet. Warum muss ausgerechnet Everly diese Krankheit bekommen? Es ist alles so unfair.

Darren POV

Sobald die Tür hinter uns zugefallen ist, hängt Eric praktisch auf mir und küsst mich. Der Weg von der U-Bahn bis zu meiner viel zu kleinen Wohnung hat sich selten so lang angefühlt. Aber das was wir jetzt tun ist nicht unbedingt für die Augen der New Yorker Bevölkerung bestimmt, außerdem würde sich diese doch eh belästigt fühlen. Für einige ist es ja schon genug, wenn wir Händchen halten, was würde dann wohl passieren, wenn wir uns leidenschaftlich küssen? Wobei ich es auch nicht sonderlich nett finde, wenn ein Pärchen anfängt sich vor mir abzuschlabbern. Genau so sieht das, was ich da mit Eric tue, sicherlich auch aus, aber es fühlt sich nur deutlich besser an.

Ich kann immer noch nicht ganz glaunen, dass er mein Freund ist, ich meine er ist Eric Reynolds und ich bin seit Jahren ein riesiger Fan, abgesehen davon fand ich ihn schon immer ziemlich sympathisch. Bis jetzt wirkte er immer unereichbar, nun sind wir zusammen und ich kenne seine halbe Lebensgeschichte und er meine wegen den Fragen. Das nenne ich mal sowas von Weihnachten, halt ein paar Tage zu früh.

Völlig unerwartet klingelt auf einmal jemand an meiner Tür. Ich löse mich von Eric und öffne sie. Es ist Otis.

"Hi, was machst du denn hier?" Dann mache ich eine Pause, schaze kurz zu Eric und dann wieder zu dem alten Mann. "Ich habe gar nicht mit dir gerechnet."

"Ich gehe ab nächste Woche meine Familie besuchen und wollte meinem Lieblingskellner noch Kekse vorbeibringen." Otis ist einfach zu goldig. Und natürlich hat er Eric bemerkt. "Mr. Reynolds, was für eine Überraschung, ich bin ein Bewunderer Ihrer Arbeit. Was macht er denn hier, Darren?"

"Vielleicht habe ich ein Date", sage ich kleinlaut, doch Otis hat anscheinend keine Scheu, sich für Eric und mich zu freuen. "Wie schön! Darren ist ein riesiger Musical-Liebhaber, ich kann mir vorstellen, dass ihr gut zusammen passt! Und er hatte schon sehr lange niemanden mehr, ach, das ist so toll!"

Während ich am liebsten im Boden versinken würde, scheint Eric das Ganze durchaus amüsant zu finden.

"Ähm...Otis, das hier ist ein Date. Du bist echt überraschend gekommen. Mich freuen die Kekse, vielen Dank dafür." Ich hole ihm noch eine Packung Pralienen, die ich vor kurzem für Notfälle wie gerade gekauft habe, um sie zu verschenken. Hoffentlich versteht er den Wink mit dem Zaunpfahl.

Otis zwinkert mir zu. Ein Glück. Es tut mir schon leid, dass ich ihn abwimmeln, aber Eric und ich sind gerade in Stimmung gekommen. Der alte Mann winkt uns zu, als er die Treppe herunter geht. "Frohe Weihnachten, Darren!"

(Bild: Everly)

I'll be Home For Christmas (Adventskalender 2019❤️)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt