10. Umstyling

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Gideon und ich saßen zusammen im Konferenzraum und lernten für sein Abi. Er tat sich ziemlich schwer, aber nach ein paar Erklärungen, begriff er es meistens doch ziemlich schnell.

In Mathe klappte es besser als in Englisch, aber dabei half ja Ivaris...oder Arthur.
Der Tisch sah aus als wäre etwas explodiert, weil ich mir trotz Computer auch noch vieles aufschrieb, oder zeichnete. Überall lagen Blätter, ein Block, Stifte...

Ich war vertieft darin ihm Integralrechnung zu erklären, als plötzlich die Tür aufging und Mr. Wisser und ein mir unbekannter Mann eintraten. Der andere Mann sah nicht unbedingt freundlich aus.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Tür aufgegangen war, weil ich so konzentriert auf die Aufgabe war.
Arthur tippte mich an und ich sah auf.

Ich rollte nervös mit dem Stuhl vor und zurück. "Hallo, heute werden wir euch mal zu neuen Personen machen. Gideon, du gehst mit Mister Jansen zur Grunduntersuchung und Arthur kommt mit mir."

Ich ließ den Stift fallen. Erstaunlich wie schnell ich doch auf den Namen reagierte.
"Sehe ich krank aus?"

"Um Gottes Willen, nein, das ist Vorschrift", meinte er.
Ich nickte. "Und was soll ich noch machen? Mich haben sie doch schon untersucht."
"Sehtest und ich würde gerne mit dir reden."
Unsicher und skeptisch sah ich ihn an. Mit mir reden? Das hieß meistens nichts gutes. Bei den Wachen war das mehr oder weniger der Code für zu Brei schlagen gewesen. Ich zitterte leicht bei der Erinnerung.

Ich schob die Blätter etwas zusammen und folgte dem Mann, der bis jetzt nichts gesagt hatte zu dem Krankenhausabteil.
Die Untersuchung war genau dieselbe, die Arthur auch hatte durchlaufen müssen. Am Ende wurde mir gesagt, ich sei kerngesund. Eine überflüssige Information...als ob ich das nicht selbst schon wusste.

Der Sehtest ergab, dass ich tatsächlich kurzsichtig war, die Brille also nicht nur als Dekogegenstand brauchte. Danach brachte er mich in sein Büro.
"Was...was wollen Sie wissen?", stammelte ich ängstlich.
"Keine Sorge, ich möchte nur gerne den Inhalt dieser Akten erfahren."
Ich erzählte ihm alles, was mir einfiel, absolut alles.

Ich kehrte in den Raum zurück, wo wir gelernt hatten und sortierte die Blätter nach Fach. Arthur war nicht hier. Worüber Mr. Wisser wohl reden wollte? Sicher über die Akten und seinen Bezug zur Mafia.

Am Ende war ich ein zusammengesunkenes Häufchen Elend. Die ganzen Infos hatten mich doch mehr belastet als ich gedacht hatte. Herr Wisser schob mich zurück zu Grischa, der anscheinend schneller fertig gewesen war wie ich.

Jetzt sah er nicht wirklich gut aus und mir war sofort klar, dass es um die Akten gegangen war.
"Alles gut?"

"Nicht wirklich", meinte ich leise. Jetzt waren wir beide tot, wenn man uns fand.

"Hat er wirklich alles wissen wollen?"

Ich nickte und starrte auf den Boden.

"Hm...Aber jetzt müsste es doch...na ja, sie haben jetzt alle Informationen. Jetzt lassen sie uns in Ruhe."

Ich kaute auf meiner Unterlippe. Irgendwie bezweifelte ich, dass der Spuk jetzt vorbei war.
Vermutlich wollten demnächst noch mehr, dass ich alles erzählte und das würde ich garantiert nicht überstehen.

"Ähm...Wollen wir weitermachen?"

"Mit den Integralen?"

"Ja."

Ich rollte mich an den Tisch.
"Wo genau waren wir stehengeblieben?"

"Äh!" Ich suchte den Zettel heraus. "Hier, glaube."

"Fläche zwischen zwei Kurven", meinte ich nach einem kurzen Blick auf den Zettel.

"Ja." Ich nickte.

"Irgendeine Vorstellung, was das ist?"

"Nein." Ich starrte auf das Blatt.

Ich erklärte es ihm. Irgendwann war ich so erschöpft, dass mein Kopf auf die Tischplatte sank. Keine Ahnung, was anstrengender war, ihm alles zu erklären oder die ganzen Akten zu rezitieren.

Arthur blinzelte müde und ich lächelte. "Lass uns eine Pause machen. Dann kannst du eine Runde dösen." Ich stand auf und streckte mich ausgiebig. "Wo hast du eigentlich diese Brille her?"

"Sehtest. Ich brauche sie wohl anscheinend wirklich."
Die Tür öffnete sich erneut und wir wurden abgeholt für einen neuen Haarschnitt.

"Meine Haare abschneiden!" Ich sah mich im Spiegel an. "Nein."

Ich ließ es einfach über mich ergehen. Meine Haare wurden kürzer, die Seiten noch kürzer und am Ende sah ich in das Gesicht einer komplett anderen Person.
Jetzt war wirklich nicht mehr ich!
Ich fing an zu weinen. Ich hatte mich selbst verloren und der Verlust taten weh.

Ich stand auf und stellte mich vor den Spiegel um ihn zu umarmen. Er sah verändert aus, im ersten Moment gruselig verändert.
Meine Haare waren nass vom Waschen, aber noch nicht geschnitten.

Ich drückte mich an ihn. Seine Haare waren nur nass, er sah aus wie immer.

"Alles gut, Haare wachsen wieder nach."

"Aber das bin nicht mehr ich", schluchzte ich.

"Und das sollst du doch auch nicht mehr sein. Du sagst doch auch, dass es Ivaris nicht mehr gibt. Das hier ist eben Arthur." Ich löste mich von ihm, aber blieb vor dem Spiegel stehen.

"Aber es ist hässlich", meinte ich und starrte mich im Spiegel an.

"Lass sie doch erstmal trocknen, ich glaube nicht, dass es schlimm ist. Was glaubst du, wie ich gleich aussehen werde? Ich will das noch weniger als du."

"Dir steht das bestimmt total", meinte ich.
"Dann bin ich wieder das hässliche Entlein, dass sich dauernd in deinem Schatten versteckt."

"Hör auf dich so runter zu machen. Ich will meine Haare nicht abschneiden!"

"Deine Haare sind seit deinem Gefängnisaufenthalt aber wirklich ziemlich lang geworden, das ist mir schon aufgefallen, als du das erste Mal vorbeigekommen bist."

"Ja, lang sind sie. Aber ich habe mich daran gewöhnt."

"Aber du hattest sie auch schon kurz."

Ich seufzte und setzte mich wieder auf meinen Platz. "Dann mache wir sie eben wieder kurz."

Ich floh von dem Stuhl auf das Sofa in der Ecke, bevor irgendjemand mir auch noch die letzten Zentimeter abschnitt.

Ich hatte noch versucht ihn zu packen, weil ich dachte, er würden den Raum verlassen. Jetzt zog ich die Hand zurück, sah in den Spiegel und schloss die Augen.

Ich fuhr mir immer wieder über den Kopf, während Grischas Haare geschnitten wurden. Oben drauf waren sie gar nicht so kurz, wie ich angenommen hatte, konnte aber auch daran liegen, dass meine Haare ziemlich lang gewesen waren.

Ich öffnete die Augen erst wieder als es vorbei war. Die Frisur war kürzer als ich sie je getragen hatte, aber das fand ich nicht schlimm.
"Wie sehe ich aus?"

"Steht dir", meinte ich und lief einmal um ihn herum.

"Du siehst auch gut aus, jetzt wo die Haare trocken sind."

"Findest du?", fragte ich zweifelnd.

"Ja, mal was neues."

Ich lächelte. Grischa log mich eigentlich nicht an. Ich schlug mir vor die Stirn. Gideon, Gideon, Gideon, dass musste ich wohl noch üben.

"Dir gehts wohl noch wie mir? Es geht nicht von heute auf morgen."

"Nein, ich brauche auch noch ein bisschen Eingewöhnungszeit."

Todessee -Teil 2 : TodesstadtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt