Kapitel 8

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Warum ist er nirgends zu sehen? Schnaufend laufe ich neben Raya her, die sich ebenfalls schweren Herzens über den Campus schleift. Der Hof ist überfüllt, wie in jeder Pause eigentlich. Etliche Gruppen von Jugendlichen sind in jeder Ecke vorzufinden, ausgenommen der Typ mit seinen Freunden. Von Footballspielern bis Hobbyleser ist der Campus in seiner vollen Pracht zu betrachten. Auch die schöne große  Baumkullise schmückt die Oberfläche und verleiht dem ganzen Anblick eine Idylle, die man nur von Filmen kannte.
"Mach die Augen auf!", reißt mich eine Stimme zurück in die Realität. Ich sehe verwirrt vor mich und entdecke ein mir bekanntes Gesicht. Victoria. Ich rolle genervt die Augen und verschränke die Arme ineinander.
"Pass demnächst besser auf.", keife ich zurück und ergattere einen unbezahlbaren Blick von ihr. Bevor sie dann endlich an uns vorbeiläuft, schenkt sie uns ihren arroganten Gesichtsausdruck und klackert mit ihren Schuhen davon.
"Zicki Vicki.", kichert Raya und steckt mich damit an. Ja, sie ist wirklich eine Zicke und das sogar seitdem sie hier ist. Außer ihre zwei besten Freundinnen kann sie keiner leiden. Es ist sogar zu bezweifeln, dass der Fußballspieler Jake Ryans, ihr vermeintlicher Lover, nicht genervt von ihrer Stimme ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch er es nicht mehr mit ihr aushält. Aber irgendwie passen die beiden auch zusammen. Sie, eine dramatische Zicke  und er, ein arroganter Idiot. Das perfekte Prom Couple, nicht.
Die Schulklingel läutet und signalisiert uns, in unseren Unterricht zu gehen. Noch zwei Stunden, bis ich dann zuhause wieder relaxen kann. Da der Sportunterricht alle zwei Tage nicht stattfindet, steht heute ein langes Mittagsschläfchen bevor, darauf freue ich mich besonders.
Glücklicherweise habe ich in jedes meiner Kurse Freunde, so sind die Stunden wenigstens nicht langweilig und ziehen sich nicht in die Länge. Wir betreten das Foyer und werfen einen kurzen Blick auf die Pinnwand. Als wir uns umdrehen, erkenne ich die Crew durch die Tür laufen. Es sind dieselben, wie zuvor, ausgenommen, dass mehr Leute dabei sind.
"Joce, bist du dir sicher, dass da nichts läuft?", stubst mich Raya an. Ich runzle die Stirn. Vor ihr etwas verheimlichen kann ich sowieso nicht, also muss ich früher oder später mein Herz ausschütten. Vor allem bei ihr, sie hat immer ein offenes Ohr für mich.
"Der Dare-Devil da vorne.", fange ich an. Sie schaut in die Richtung, in die ich unauffällig gedeutet habe.
"Warum kennen ihn alle? Sogar Marie hat heute von ihm geschwärmt.", erkläre ich, wobei sich Staunen in ihrem Gesicht erkennbar macht.
"Das kommt dir bestimmt nur so vor. Die kennen sich sicherlich vom Unterricht."
"Ich hab auch mit ihm Sport, aber ein gesprächiger Typ scheint er nicht zu sein. Und erst recht nicht freundlich.", sage ich. Ab und zu lasse ich meinen Blick nach vorne, zu deren Gruppe gleiten und frage mich, wie es wäre ein Teil von ihnen zu sein.
"Vielleicht muss man ihn einfach nur besser kennenlernen. Außerdem hast du einen Grund mit ihm zu reden.", drückt sie ihren Zeigefinger in meinen Arm. Ich seufze, weil ich genau weiß, dass sie recht hat.

Ich laufe in der Küche auf und ab und raufe mir die Haare.
"Jetzt komm mal runter.", stellt sich Raya vor mich und blockiert so mein Gewirr. Ich schnaufe und lass meine verspannten Schulter sinken.
"Ich kann da doch nicht einfach so aufkreuzen. Was wird er von mir denken?"
Ich atme noch einmal tief durch und durchstampfe das Zimmer. Seit wann ist es so kompliziert, sich bei jemandem zu bedanken? Grade bei einem Typen, wie ihm. Ich kenne ihn lediglich vom Unterricht, aber das sagt rein garnichts über ihn aus, was mir ansatzweise helfen könnte.
Ich werde an den Schultern gepackt und abrupt umgedreht. Raya starrt mir entgeistert in die Augen und wagt es nicht, mich loszulassen.
"Wir gehen da jetzt hin und bedanken uns.", nimmt sie meine Hand in ihre und zieht mich hinter sich her. 

Bis wir seine Wohnung gefunden haben, mussten wir an etlichen Nachbarn klopfen und nachfragen. Nach drei weiteren Haustüren kommen wir endlich an der Nummer 109 an und drücken auf die Klingel, auf dem vier Namen stehen; Chade, Cyré, Kade und Nas. Der einzige Name, der mir bekannt vorkommt ist lediglich Nas und das Dank einer Partnerarbeit Aufgabe in Biologie letzte Woche.
Die Tür öffnet sich und ich spüre ein unkontrolliertes Zittern in meinem Gewebe.
Das Mädchen von heute Mittag steht uns gegenüber und beäugt uns verdutzt.
"Kann ich euch Mädels behilflich sein?", fragt sie höflich. Ihr Shirt mit dem Bob Marley Aufdruck zwischen der Türspalte, strahlt völlige Sympathie aus.
"Ich hoffe wir stören grade nicht. Wir wollten nur mir eines deiner Kollegen reden.", übernimmt Raya.
"Nas und ich sind grade nur zuhause, die anderen beiden sind Zigaretten holen gegangen. Ich weiß ja nicht, wen ihr meint, aber ihr könnt gerne reinkommen.", ist das Fragezeichen in ihrem immernoch deutlich zu erkennen. Wohlmöglich haben wir sie an einem ruhigen Abend mit Fragen überrumpelt. Raya und ich tauschen kurz Blicke aus und betreten dann die Wohnung. Erst im Flur kommt uns die leichte Marihuana und Erdbeer Duftwolke entgegen, bis wir schließlich im Ursprungsraum ankommen.
"Hey?", begrüßt uns Nas und runzelt die Stirn. Hilfesuchend sieht er zu dem Mädchen, von der er sofort eine Antwort auf seine wahrscheinliche Frage kommt. Sie erklärt den Sachverhalt und setzt sich zu ihm, auf die Couch.
"Kennen wir uns überhaupt?", fragt sie nun und schiebt uns eine Schale mit m&m's entgegen.
"Ich glaube nicht. Ich bin Jocelyn."
"Ich bin Rayana."
"Nett euch kennenzulernen. Ich bin Lexus, aber nennt mich ruhig Lex. Nas kennt ihr schon?", rappelt sie sich auf und wendet sich ihm zu. Er scheint von unserer Kennlernrunde nichts zu ahnen und tippt weiter auf seinem Handy rum.
"Habt ihr was gesagt?", fragt er nun und lässt seine Augen einmal rumgehen.
"Ja, vom Bio Unterricht.", gebe ich zurück und schüttle den Kopf.
"Ähm, wie heißt eigentlich der große, sportliche aus eurem Kreis?", wirft Raya rein und ergattert einen drohenden Blick von mir.
"Du meinst bestimmt Ty. Er müsste jeden Moment kommen." Wie viele Typen wohnen hier eigentlich, von denen ich noch keine Ahnung habe?
"Wohnt er nicht hier?"
"Doch, natürlich. Du musst sicherlich verwirrt sein, wegen seinem Zweitnamen-"
Kurz bevor sie ihren Satz beendet, klimpern Hausschlüssel in der Ferne und es tauchen zwei Jungs auf. Ty, dessen Namen ich endlich herausgefunden habe und ein weiterer Typ, der dann entweder Chade oder Kade sein müsste. Komisch, wie ähnlich sich die Namen hier anhören und vorallem so außergewöhnlich schön.
Als sie das Zimmer betreten, schauen sie uns entgeistert an. Er schmeißt die Schlüssel auf den Tisch, wodurch ein lautes Scheppern entsteht und zeigt mit seinem Finger unauffällig in unsere Richtung.
"Was haben die hier zu suchen?", brummt er und sieht kurz zu uns nach hinten.
Wow, noch freundlicher kann er nicht mehr werden.

Untouched | GestopptWo Geschichten leben. Entdecke jetzt