Kapitel 10

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Ich greife zu einem Tablett und platziere darüber einen großen Teller. Mal wieder ist die Cafeteria brechend voll und die Schlange dementsprechend unglaublich lang. Die ganze Gruppe und ich stellen uns hinter ein Paar jüngeren Schülern, die sich rumschubsen und Lärm verbreiten. Das wird wohl noch eine Weile dauern. Mein Magen knurrt schon vor sich hin und der herrliche Duft der Pizza, macht es kein Stück besser. Erschöpft lehne ich mich an die Wand und beobachte jeden vorbeilaufenden. Dabei entdecke ich Ty, der zum ersten mal alleine das Gebäude betritt. Ich betrachte ihn eine Weile lang und sehe ihm dabei zu, wie er sich ein Glas schnappt und sich beim Spender einen Saft einschenken lässt. Ohne weiteres setzt er sich an den leeren Tisch in der hintersten Reihe und tippt auf seinem Smartphone rum. Irgendwie verpasst mir der Anblick einen klitze kleinen Stich ins Herz. Auch wenn er rein garnichts tut, kommt er mir so interessant vor, wie ein ungelöstes Mysterium.
"Joce?" Ich blicke hoch und sehe die große Lücke vor mir. Schnell eile ich zu Raya und den anderen, die schon an der Theke ihre Pizzastücke ergattert haben. Auch ich bekomme ein großes Mittelstück und füge noch ein Glas mit Schokopudding hinzu. Samt Besteck und Getränke gehen wir mit unserem Essen durch die Tische und suchen nach einem freien Platz. Meine Augen bleiben immernoch an dem hintersten Tisch hängen, doch lange hält das nicht. Lexus und noch ein weiteres Mädchen setzen sich zu ihm und fangen schon an zu lachen. Ein Ty kommt ja bekanntlich selten allein. War ja klar, dass er sich kaum alleine blicken lassen würde.
Wir setzen uns an ein gemütliches Plätzchen und stellen uns das Besteck zurecht. Muss das sein, dass ausgerechnet er in meinem Blickfeld sein muss? Und dann auch noch genau vor mir, wie soll ich da noch enspannt essen? Ich fühle mich wirklich unwohl, als ich in meine Pizza beiße und ab und an in seine Richtung sehe. Nach dem vierten Biss habe ich das Gefühl, er wisse, dass ich ihn 'anstarre'. Gut, anstarren kann man das nicht nennen, vielleicht nur kurz betrachten. Seinen Ausdruck kann ich nicht genau deuten, aber eines sagt er aus: 'Hör auf mich anzugucken'. Ich traue mich kaum noch geradeaus zu schauen, in der Angst, dass sich unsere Blicke wieder treffen. Warum lehnt er alles bloß so ab? Wie kalt kann ein Mensch noch sein?
Den Teller schiebe ich beiseite und fange an meinen Pudding zu löffeln. Was gibt's besseres, als mit seinem engsten Kreis zu sitzen und zu essen? Jedenfalls fällt mir spontan nichts dazu ein. Der ernste Gesichtsausdruck und die unfreundlichkeit ist sofort wieder vergessen und ich kann wieder etwas lächeln. Wer hätte gedacht, dass ein Junge einen so großen Einfluss auf meine Laune haben könnte. Aber was er kann, kann ich auch. Hoffentlich wird es ihm gefallen, gehasst und abgestoßen zu werden. Es sei denn er ist ein Psycho, dann wird es ihm wirklich gefallen und mein Plan scheitert, ihn zu verletzen.

Glücklich und mit vollem Magen verlassen wir die Cafeteria und setzen uns nach draußen. Wir setzen uns auf die geschlossene Veranda und halten ein kleines Pläuschken, bevor wir heute noch zum Training müssen.
"Wisst ihr, wie mega es wäre, wenn Channing Tatum hier auftreten würde? Also mit privat Show und so.", schwärmt Marie vor sich hin und betrachtet ihre langen dunkelroten Acrylnägel.
"Der Direktor hat auch nichts besseres zu tun, als einen Stripper einzuladen, der für dich tanzt.", scherze ich. Die beiden Mädels brechen in Gelächter aus und stecken mich damit an.
"Aber weißt du, was noch viel besser wär-"
Ich drehe mich um und sehe hinter mich, um den Grund für Rayas Abbruch herauszufinden. Keine zwei Sekunden später, steht Ty hinter mir, während die anderen Mädchen hinten warten. Ich räuspere mich und Rolle die Augen. Was will der denn jetzt hier? So ganz kann ich eine ignorante Fassade nicht aufrichten, aber ich gebe mein bestes, um nicht interessiert zu wirken. Ohne auch nur ein Wort sagen zu können, ertönt schon seine tiefe Stimme und meine Zunge verknotet sich.
"Solche Sachen hier..." Er hält das kleine Päckchen in der Hand, dass ich ihm zuvor geschenkt hatte. "...Solltest du dir demnächst abschminken. Ich will weder ein Dankeschön, noch Geschenke von dir, verstanden?", beendet er und versetzt mich damit in eine Art Schockstarre.
"Nur weil du keinen Sinn für Vernunft und Menschlichkeit hast?" Ich stehe auf und versuche meine Wut runterzuschlucken. Wie kann er es nur wagen, so undankbar zu sein?
Ihm entweicht ein kurzes Lachen, was mich umso mehr reizt. Nimmt er mich etwa nicht ernst?
"Hör zu Kleine, hätte ich keinen Sinn für Menschlichkeit, hätte ich dich da draußen allein gelassen. Und ab sofort nervst du mich nicht mehr mit deinem Kinderkram.", verspottet er mich und dreht sich grade um. Ich bin rasend vor Wut, doch mehr, als wütend aussehen kann ich nicht über mich bringen. Was ist nur los mit mir? Ich kann das nicht mehr ertragen und stürme aus der Veranda. So ein Idiot, was fällt ihm nur ein, so mit mir zu reden? Wutentbrannt stampfen ich in unsere Wohnung und knalle die Tür hinter mir zu.
Kurz bevor ich die Platform verlassen habe, habe ich noch mitbekommen, wie Raya sich für mich eingesetzt hat.
Aber was wenn er recht hat? War ich wirklich zu aufdringlich?...

Untouched | GestopptWo Geschichten leben. Entdecke jetzt