Kapitel 16

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Verzweifelt suche ich nach Raya unter der  Menschenmasse im Foyer. Mit Tunnelblick düse ich durch die Menge hindurch und versuche einen rosanen Rucksack mit aufgedruckten Kirschen drauf zu finden, der nur einer Person gehören kann.
"Warum so eilig?", zerrt mich etwas am Saum meines weißen Hemds.
"Ich kann grade nicht.", blocke ich ab distanziert, doch kann grade noch realisieren, dass es die Stimme ist, nach der ich gesucht habe. Und es macht klick.
"Raya! Dich habe ich gesucht!" Ich halte ihre Schultern fest umklammert und sehe in ihr verwirrtes Gesicht.
"Ist alles in Ordnung, du bist so durch den Wind?", neigt sie fragend ihren Kopf schief.
"Du. Jetzt. Mitkommen.", fordere ich sie auf und verlasse mit ihr das Foyer. Ich muss aus der Fülle raus, um mir einen klaren Kopf zu verschaffen und natürlich, um ihr alles zu erzählen. Raus aus der menschlichen Lawine begeben wir uns auf die Veranda, das etwas abseits von den überfüllten Gebäuden liegt. Nur zu gut, dass wir dieses kleine Milieu übernommen haben und kein anderer hier hin kommt.
Wir setzen uns auf die Plastikstühle und stellen die Rucksäcke beiseite. Hauptsache etwas Entspannung in die Kiste bringen.
"Wie ich merke, geht es um etwas wichtiges.", beginnt sie die Unterhaltung. Ich fuchtele mit meinen Händen herum, um nach den richtigen Worten zu suchen, doch was mir über die Lippen geht, ist lediglich ein Säufzer.
"Ich hab Jake immernoch nichts erzählt. Ich konnte es ihm irgendwie nicht sagen, das ist nicht so mein Ding." Sie nickt und rückt mit ihrem Stuhl ein wenig zurück, um ihre Beine zu überschlagen. "Soll ich es ihm erklären?", fragt sie.
"So notwendig wird das garnicht sein. Er wird mir Nachhilfe in Chemie geben und da könnte ich es versuchen.", murmle ich unsicher.
"Das ist doch klasse. Nein, das ist sogar genial! So hängt ihr beiden mehr ab und Lui denkt, dass ihr gemeinsam ein Date habt.", meint sie sprunghaft. Warum muss es ausgerechnet ich sein, dass so ein Blödsinn mitmachen muss? Ich bin überhaupt nicht geeignet für so was. Ich stimme ihr dennoch  unüberzeugt zu und versuche den Zwiespalt in meinem Kopf rege zu lösen. Es switcht ständig von sag es ihm einfach und Nein, tu das nicht, als wäre es eine endloses Schlaufe. "Aber ich glaube, dass wir noch ein etwas größeres Problem haben werden.", merke ich an.
"Und das wäre?", hakt sie nach und verzieht ihre Augenbrauen.
"Victoria."
"Mach dir um sie keinen Kopf. Die Hauptsache ist, dass du und Jake erstmal zusammenkommt.", zwinkert sie mir zu. "Sie wird von der Sache sicherlich nichts erfahren.", fügt sie unbekümmert hinzu. Klar, sie betrifft das ja auch nicht. Was, wenn etwas schief läuft und das irgendwie rauskommt? Dann denkt jeder, ich hätte Jake ausgespannt. Das wäre echt nicht gut.
"Eine interessante Unterhaltung habt ihr da.", raschelt die Hecke um die Veranda herum. Schnell entpuppt sich der unerwartete Gast als Nas, gefolgt von seinen Liebhabern: Chade, Kade und wie erwartet auch Ty.
"Wie lange seid ihr schon im Gebüsch, wenn ich fragen darf?", dreht sich Raya zu den Herrschaften um, die sich in einer Reihe aufgestellt haben. Ich dachte hier kommt keiner mehr hin?!
"Wir sind erst grade hier und wollten uns eine paffen. Dürfen wir etwa nicht?", fragt Nas gespielt und zieht sich eine Schachtel aus der Hosentasche.
"Macht nur. Aber lasst den Qualm gefälligst nicht in unsere Richtung blähen.", konstatiert sie und dreht sich wieder zu mir. Ich werfe den Jungs, beziehungsweise dem einen Jungen, einen monotonen Blick zu, der mir, wie immer, den unsympathischen Eindruck macht, den ein Mensch machen kann. Er greift zu der gerollten Stange, die ihm Chade hinhält und zündet dessen Spitze an. Nachdem der erste Rauch seinen Mund locker verlässt, sieht er mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck zu uns rüber.
"Viel Glück mit deinem Fußballspieler.", gibt er sarkastisch von sich und deutet uns damit an, dass er doch den offensichtlichsten Teil unserer Unterhaltung mitbekommen hat. Mein Hals wird ganz trocken und ich kann kaum noch schlucken.
"Das Glück hat sie bereits an ihrer Seite.", schmeisst Raya lässig rüber und grinst mich wissend an. Ich und Glück? Im Traum vielleicht. Ich verschließe die Augen zu Schlitzen und mustere ihn ein weiteres mal. Ein leichtes, spöttisches Grinsen macht sich auf seinem Gesicht bemerkbar. Wie ich diesen Gesichtsausdruck hasse. Und warum müssen die ausgerechnet hier rauchen? Das ist unser Platz.
"Lass uns von hier verschwinden.", murmle ich zu Raya, ohne den feindseligen Augenkontakt mit ihm abzubrechen. Idiot.
Das Knarren der Stuhlbeine auf dem Steinboden zieht die volle Aufmerksamkeit der Truppe. Großspurig laufen wir an ihnen vorbei, um unsere Desinteresse nocheinmal zu verdeutlichen. Ich lächle Nas, Chade und Kade freundlich an und schenke Ty meinen wundervollen leeren und ausdruckslosen Gesichtsausdruck. Provokant bläst er mir den Rauch entgegen und verabschiedet sich gespielt freundlich. "Tschüss. Und grüß deinen Zukünftigen von mir."
Ich beiße mir innerlich auf die Wangen, um mich noch zurückzuhalten, was mir grade so gelingt. Er verdient nicht nur einen Mittelfinger, sondern auch eine saftige Kopfnuss. So ein verfluchter Mistkerl. Der wird das sicherlich jedem weitererzählen, ohne überhaupt die Wahrheit zu kennen.
Wie weit kann ein Krieg zwischen zwei widersprüchlichen Seelen noch gehen?

Untouched | GestopptWo Geschichten leben. Entdecke jetzt