Die einsame Kriegerin

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Die einsame Kriegerin

„Habt ihr schon einmal von der einsamen Kriegerin gehört?", fragte die ältere Dame ihre jungen Zuhörer, die vor ihr saßen. Alle antworteten mit nein. „Würdet ihr dann gerne ihre Geschichte hören? Eine Geschichte über Heldenmut und Loyalität?"

„Ja, bitte. Erzähl uns die Geschichte", baten alle aufgeregt.

Die Frau setzte sich bequem hin, und fing an, die Geschichte der einsamen Kriegerin zu erzählen:

„Vor sehr langer Zeit, als noch Könige herrschten und Ritter durch die Lande zogen, gab es ein kleines Königreich, regiert von einer starken Königin. Nun war es aber eine Zeit, in der Frauen als schwach und Königinnen als unfähig angesehen wurden, ein Land zu führen.

Aber die Königin war schlau und ihrer Zeit weit voraus. Sie hatte längst verstanden, dass Frauen ebenso fähig waren ein Schwert zu führen oder ihren Verstand zu benutzen wie Männer. Die Königin hatte sowohl weibliche wie männliche Ritter, Berater und Leibwächter.

Die Geschichte handelt von einer der Leibwächterinnen der Königin. Eine junge, loyale und starke Kriegerin. Sie hatte sich ihren Platz in der Leibwache hart erarbeitet und war sehr gut in dem, was sie tat.

Nun kam es, dass die Königin auf eine Reise gehen musste. Sie wählte ihre Begleiter weise. Unter ihnen war auch die junge Leibwächterin, die sich freiwillig gemeldet hatte. Die Königin war froh, denn die beiden verstanden sich blendend. Ihre Reiseroute führte durch unsere Stadt, nur war hier zu dem Zeitpunkt noch ein kleines Bauerndorf. Die Gruppe machte hier Rast, und führte ihre Reise anschließend mit neuer Energie und neuen Vorräten fort.

Wie ich schon erwähnt hatte, waren nicht alle der Meinung, eine Frau könnte ein Land führen. Einer der Gegner der Königin hatte deshalb eine Gruppe Krieger ausgesandt, um die Königin mit ihren Begleitern zu überfallen und zu töten. Die Männer schlichen sich nachts, im Schutz der Dunkelheit an das Lager der Königin heran. Der Wachestehende Ritter bemerkte sie erst, als die Männer aus den Schatten des Waldes traten. Er schlug sofort Alarm. Alle schreckten aus dem Schlaf, griffen nach ihren Schwertern und eilten zur Königin, um sie zu beschützen. Ein blutiger Kampf brach aus. Die Angreifer kämpften mit der Aussicht auf eine hohe Belohnung. Die Verteidiger kämpften für das Leben ihrer Königin und das Überleben ihres Heimatlandes. Als die Beschützer sich so weit frei gekämpft hatten, dass sie die Herrscherin wegbringen konnten, erklärte sich die junge Leibwächterin bereit, zurück zu bleiben, um die Gegner davon ab zu halten der Königin zu folgen. Die Königin floh mit dem Rest ihrer Krieger, während die junge Frau zurück blieb und die Angreifer zurückhielt. Sie kämpfte verbissen und mit unglaublicher Stärke, obwohl sie aus zahllosen Verletzungen blutete. Sie besiegte jeden der Angreifer. Ihr Schwert war getränkt in dem Blut der Toten, ihre Kleidung durchweicht von ihrem eigenen Blut. Geschwächt von dem großen Verlust des roten Lebenselixiers schwankte sie zu dem nächstgelegenen Baum, ließ sich mit dem Rücken an der Rinde nieder und schloss die Augen. Als die Königin mit ihrem Begleitern ein paar Stunden später zurück kam, besorgt um die Kriegerin, da sie nicht zu der Gruppe aufgeschlossen hatte, fanden sie sie unter diesem Baum sitzend, als würde sie schlafen. Aber die Frau schlief nicht. Sie war unter dem Baum sitzend an dem großen Blutverlust gestorben. Ganz allein, wenn man die toten nicht mitzählt.

Die Tapferkeit, Selbstlosigkeit und Loyalität der Kriegerin anerkennend, lies die Königin sie mit größten Ehren Beerdigen und den Mann, der die Angreifer geschickt hatte hinrichten." „Die Kriegerin ist wirklich gestorben?", wollte einer der Zuhörer wissen. Nickend antwortete die Frau: „Ja, sie ist gestorben." „Das ist ja ein doofes Ende", meinte ein anderer. Mit einem leichten lächeln erwiderte sie: „Wer sagt denn, dass das das Ende ist?" „Ist es nicht?", wollten sie wissen. „Nein, die Königin hatte nämlich ihr ganzes Leben lang immer das Gefühl, der Geist der Kriegerin würde sie weiterhin beschützen. Und einmal im Jahr, am Tag der Wintersonnenwende, kehrt der Geist der Kriegerin an den Ort ihres Todes zurück und kämpft gegen die Geister der Angreifer. Das passiert bis heute. Wenn ihr gut aufpasst, könnt ihr an diesem Tag das Klirren der Schwerter und die Kampfschreie der Geister hören."

„Ist das jetzt das Ende?" „Ja, das ist das Ende." „Ist ja gruselig." Die Teenager tuschelten noch eine Weile, bis die Frau sagte: „Jetzt macht euch auf den Heimweg, es wird dunkel und eure Eltern warten bestimmt schon." Die Teenager standen auf und zerstreuten sich in alle Richtungen.

Die Frau hingegen stand auf und ging den Gehweg in Richtung des Parks entlang. Inzwischen war es bereits so dunkel, dass das sanft gelbliche Licht der Straßenlaternen die Straße in regelmäßigen abständen überflutete. Und jedes Mal, da das Licht der nächsten Laterne auf die Frau fiel, war ihr Gang weniger wackelig, ihre Statur weniger gebrechlich und ihr Haar weniger grau. Endlich zwischen den Bäumen angekommen, stand dort keine alte Frau mehr. Nein, dort stand eine junge Frau mit braunem Haar. Sie trug eine glitzernde Rüstung, hatte ein Schild in der Hand und ein Schwert am Gürtel hängen. In dieser Nacht konnten die Anwohner, die nahe des Parks wohnen laute Kampfgeräusche, Schreie und das Klirren von Stahl, das aufeinander trifft hören. Alle, die die Geschichte der Kriegerin kannten, wussten, was das zu bedeuten hatte.

Am Ende dieser Nacht kehrte die Kriegerin siegreich ins Jenseits zurück, wo sie ihrer Königin Bericht erstattete und sich anschließend zur Ruhe legte, um im nächsten Jahr gut ausgeruht zu sein, denn auch Geister werden nicht jünger und brauchen ihren Schlaf.

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