Kapitel 10: Hochzeit und andere Debakel

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Ein junger Mann stand vor dem Spiegel. Dunkle Haare fielen lose auf seine Stirn. Tiefe Augenringe zierten das sonst so schöne Gesicht und umrahmten die rot unterlaufenen Augen. Die Wangen waren geschwollen von den vielen vergossenen Tränen, die zurückblieben wie eine trockene Spur auf reiner Haut. Die Lippen spröde, aufgerissen, trocken. Dieser Mann sollte an diesem Tag bereit für seine Hochzeit sein. Ein wunderschönes Ereignis in dem Leben zwei liebender Menschen. Das Versprechen ihre Zukunft für immer miteinander zu teilen. Leider war es für ihn die Tragödie schlechthin. Seine Frau liebte er nicht. Mit dieser Frau wollte er nicht den Rest seines Lebens verbringen. An diesem Tag wollte er einen anderen vor sich stehen sehen. Ein jemand, der mit strahlenden Augen zu ihm aufsah und ihm das süßeste Lächeln der Welt zeigte. Nur würde er nie die Möglichkeit dafür bekommen. Er war zu schwach. In all der Zeit hatte er sich nicht durchgesetzt gegen die Fänge seiner Familie. Sein eigenes Glück stand ganz hinten an. Doch davon war sowieso nichts mehr übrig. Vor ein paar Tagen hatte dieses fluchtartig sein Haus verlassen. Er wollte sich seine Zukunft nicht mehr vorstellen. All die kommenden Jahre... ohne ihn an seiner Seite, gefangen in einem erzwungenen Bund. Er würde nie mehr lieben können, kein Glück finden und in der Einsamkeit seines Herzen dahinvegetieren. Niemals könnte er das überleben. Allein der Gedanke daran quälte ihn. Zum ersten Mal wusste er, was es war, innerlich zu Leiden... Am Boden zerstört zu sein. So musste sich Jimin damals gefühlt haben. Ach er hatte keine Vorstellung davon, dass Liebe einem solche Schmerzen bereiten konnte. „Jimin...", hauchte er leise, „Ich brauche dich."

Während der eine vor Trauer zerging, stand der andere selbstbewusst vor seinem Badezimmerspiegel und trug leichten rosafarbenen Lipgloss auf. Die blonden Locken umrahmten die reine Form seines Gesichts. Der entschlossene Ausdruck seiner Iriden wurde verfeinert durch den dunklen Lidschatten. Ein kleines verschlagenes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. „Mach dich auf was gefasst, Seokjin. Diese Hochzeit wird die schlimmste aller Zeiten." Er warf sich selber einen Luftkuss zu, bevor er das Bad verließ und zu seinem Kleiderschrank stakste. Immerhin brauchte er trotzdem angemessene Kleidung. Er kramte seinen roten Anzug heraus. Schwarz war ihm zu langweilig. Abgesehen davon war er ja nicht der Ehemann. Er war der Teufel in Rot, der sich das Feuer seiner Leidenschaft zurückholte. Dieses Mal gab er nicht so leicht auf. Sollte es so weit kommen, würde er auch notfalls einigen Leuten die Leviten lesen müssen. Sein Blick fiel auf die Uhr. „Ich muss mich wohl langsam auf den Weg machen." Klar. Er würde etwas zu spät kommen. Aber der Helfer in Not kam ja nie pünktlich, um seine Prinzessin zu retten. Außerdem wollte er den passenden Moment abwarten. Wenn alle saßen, konnte man ihn auch nicht so leicht aufhalten. Zu Beginn würden auch einige Presseleute anwesend sein, die er tunlichst vermeiden wollte. „Also dann... Auf in den Kampf."

Ihm wurde gleich schlecht. Seine Hände zitterten unaufhörlich, als er direkt vor dem Altar stand. Gleich würde seine Braut einlaufen. Er müsste sie sehen... und jeder aus ihren Familien wird vor stolz platzen. Er müsste ihr die Lügen eines Eheversprechens aufsagen. Das alles hier war doch nur eine Farce... Ein Trauerspiel um die Zuschauer zu amüsieren. Warum war sein Leben eigentlich ein Drama? Hätte er nicht eine Person einer Komödie sein können? Oder von einem Märchen? Dann hätte er zum Schluss seinen Prinzen bekommen und hätte mit ihm bis ans Ende seiner Tage glücklich zusammengelebt. Warum konnte die reale Welt nicht so sein? Letztendlich hatte er Jimin ein weiteres Mal verletzt. Dabei wünschte er sich doch so sehr eine Zukunft mit ihm. Am liebsten würde er ihn in dieser Sekunde in die Arme ziehen und einfach alles hinschmeißen. Wie sollte er in einer Welt leben, in der ihn nicht mehr lieben durfte? In den letzten Wochen haben seine Gedanken und Gefühle ihm gegenüber eine vollkommene Kehrtwendung gemacht. Mittlerweile war er sich sicher, dass er ohne ihn nicht sein konnte. Ohne ihn fühlte er sich schrecklich elendig. So wie es Jimin erging, als er ihn einfach fallen gelassen hatte. Langsam konnte er die Tiefe seines Schmerzes vollkommen verstehen. Es zog einen herab in die tiefste Finsternis und Einsamkeit. Eine fröhliche Melodie leitete den Marsch ein. Für ihn die Musik eines Horrorfilms. Das Monster kam dabei direkt auf ihn zugelaufen und würde ihm die letzte Chance auf ein Leben nehmen.

Take me or Leave me | JinminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt