Der Freund meiner Schwester

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Kapitel 1 Der Freund meiner Schwester

Es ist das Geräusch von sanfter Reibung auf großmaschigen Wollstoff, den ich als erstes vernehme. Dann sehe ich die schlanken langen Finger, die diese kreisenden Bewegungen vollführen. Sanft bewegt er die Hand über ihren schmalen Rücken. Ich bemerke, wie sich dabei die Muskeln in seiner Schulter anspannen und sich die Formen durch das dünne Shirt drücken, welches er trägt. Ich kann nicht verstehen, was sie sich zu flüstern, doch wie gebannt hängen meine Augen an den roséfarbenen Lippen. Sein Lächeln im Profil, doch ich male mir sofort aus, wie es im Ganzen aussieht. Befreiend und ehrlich. Seine Lippen streichen sachte über ihr Ohr, bleiben an ihren aufwendigen Ohrringen stehen. Erneut flüstert er etwas und dumpf höre ich ihr Kichern. Mein Blick wandert von seinen Lippen über sein Profil, betrachtet die leichten Bartstoppeln seines Drei-Tage-Barts und stoppt an den markanten Wangenknochen. Seine etwas zu spitze Nase, die aber nur von der Seite unstimmig wirkt. Noch sind seine Augen geschlossen, doch bald öffnet er sie und zum Vorschein kommen die schönsten grünen Augen, die ich je gesehen habe. Sie harmonisieren mit den dunkelbraunen Haaren, die stylisch geschnitten sind und sein Gesicht perfekt umrahmen. Alles passt zusammen, doch am besten sind diese Augen. Saftig grün, wie das frische Laub eines Baumes am schönsten Frühlingsmorgen.

Nur ganz leicht hat er sie geöffnet und erneut perlt ein Flüstern über seine Lippen. Ihre Augen weiten sich und ich weiß, dass es etwas Unanständiges war. Sein verschmitztes Lächeln und ihr erschrockener Blick bilden einen seltsamen Kontrast, der mich in meiner Ahnung bestätigt. Sie wird nicht darauf reagieren, denn ich sehe die feine Röte, die langsam von ihrem Hals zu ihren Wangen kriecht. Scham, und das obwohl sie kein kleines Mädchen mehr ist. Maya ist siebzehn und Raphael ist ihr erster fester Freund. Er ist 20 Jahre alt und damit ein Jahr älter als ich. Ich kenne ihn seit 4 Jahren und die beiden sich seit 6 Monaten. Sie ist meine Schwester und ich begehre ihren Freund seit der 10. Klasse.

Ich lasse mich gezielt gelangweilt in den weichen Sessel im Wohnzimmer nieder. Mitten in ihr direktes Blickfeld. Obwohl meine Mutter sicher jeden Moment schimpft, lümmele ich meine Beine über die Lehne und lasse sie im sanften Takt der klassischen Musik baumeln. Das damit verursachte nervende Geräusch nehme ich kalkuliert in Kauf. Als sie mich bemerken, entfernt sich Maya ein kleines Stück von ihrem Freund und schaut verärgert, aber mit geröteten Wangen zu mir. Raphael reagiert nicht. Er wartet weiterhin auf eine eindeutige Reaktion von ihr. Darauf wird er vergeblich warten, dessen bin ich mir sicher.
Der Blick meiner Schwester konzentriert sich vollkommen auf mich, denn ich habe sie gestört und im Nachhinein wird mir bewusst, dass ich den herannahenden Streit besser abgewartet hätte. Es wäre ein Fest geworden. In dem Moment, in dem sie etwas sagen will, komme ich ihr zu vor.
„Mum hat gesagt, dass es gleich Abendbrot gibt."
„Na dann geh doch den Tisch decken", zischt sie mir augenblicklich entgegen und nun schaut auch Raphael zu mir. Unsere Blicke treffen sich und ich kann mir ein übertrieben amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. Ihr Ärger und seine folgende Verlegenheit verursacht ein freudiges Kribbeln in mir. Ich rühre mich nicht vom Fleck.

„Mark, verschwinde endlich", keift sie weiter und ich erhebe mich. Ich mache eine salutierende Bewegung in ihre Richtung, stelle beim Hinausgehen die Musik aus und lasse die beiden in völliger Stille zurück, während ich in die Küche verschwinde.

Meine Mutter steht vor dem Herd und rührt in einem Topf. Ihre langen blonden Haare hat sie nach oben gesteckt. Dabei kommt ihr langer Hals extrem zur Geltung. Er ist schlank und faltenfrei, aber zu lang. Es wirkt etwas unproportional. Als sie mich bemerkt, wendet sie sich mir zu und deutet sogleich auf die bereitgestellten Teller.

„Kannst du bitte anfangen?" Ich nicke, blicke aber lustlos auf den Stapel Teller. „Hast du deiner Schwester und ihrem Freund Bescheid gesagt, dass wir gleich essen?", fragt sie und erneut bildet sich dieses belustigte Lächeln auf meinen Lippen. Sie bemerkt es nicht.

Doors of my Mind - Der Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt