Eine Chance zu vergessen

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Kapitel 6 Eine Chance zu vergessen

„Geh lieber hier, bevor du unten noch die Tür einschlägst", sagt er belustigt und sieht mir dabei zu, wie ich unkoordiniert in den Raum stolpere. Jake kommt auf mich zu, doch ich deute ihm an, dass ich es allein hinbekomme. Er zeigt auf das Badezimmer, als ich irritiert danach Ausschau halte. Dankend gehe ich hinein, sehe mich kurz um. Es ist klein und fein. Echt sauber. Für einen kurzen Moment ist mir speiübel, doch es passiert nichts, während ich mich nicht zwischen Waschbecken und Toilette entscheiden kann. Ich hätte das Bier nicht so schnell trinken dürfen. Waschbecken. Das Waschbecken ist gut und nicht so weit unten. Ich lasse mir etwas kaltes Wasser in die Hände laufen und befeuchte mein Gesicht. Es tut gut, doch vertreibt es das seltsame Gefühl nicht. Genauso wenig wie die eigenartigen Gedanken.

Mit geschlossenen Augen bleibe ich über dem Waschbecken gebeugt stehen. Ich weiß nicht wie lange, doch höre ich irgendwann Jakes besorgte Stimme. Erst durch die Tür, dann direkt im Raum. Ich habe nicht abgeschlossen.

„Mark, alles okay?", fragt er. Ich sehe, dass die Tür nur ein Spalt geöffnet ist.

„Ja, ich habe nur etwas zu schnell getrunken", murmele ich und spritze mir noch etwas kühles Wasser ins Gesicht. Er kommt mir entgegen, als ich die Tür öffne. Ich folge ihm in die Küche und bekomme ein Glas Wasser in die Hand gedrückt.

„Immer noch das schlechte Gewissen?", fragt er besorgt. Nicht nur deswegen. Ich hoffe immer noch, dass Shari keinen Stress bekommt, aber eigentlich denke ich nur an Raphael und an die Ungerechtigkeit des Universums. Für einen kurzen Moment habe ich gehofft, den Gedanken an den Freund meiner Schwester abstreifen zu können, doch er klebt an mir wie ein Kaugummi im Teppich, der durch alles und jeden weiter eingetreten wird. Seine Freunde, unsere Schule und seine nahe Unerreichbarkeit. Ich sehe zu Jake, der mich noch immer mit diesen warmen braunen Augen besorgt anschaut. Seine Haare sind ein wenig durcheinander und erst jetzt fällt mir auf, dass das Hemd, welches er trägt, perfekt seine trainierte Brust betont.

„Wieso hast du Zugang zu dieser Wohnung?", frage ich neugierig statt zu antworten und sehe mich um. Er hat eine Stehlampe angeschaltet, die den Raum nicht mal ansatzweise vollständig beleuchtet. Aber ausreichend. Hier wohnt eindeutig ein Mann. Es steht nirgendwo Schnickschnack. Nur ein paar Bilder hängen an der Wand, die aber irgendwelche Profifotografien sind und nichts aussagen. Jake folgt meinem Blick und kommt auf mich zu.

„Ich wohne hier, wenn ich in der Stadt bin. Der eigentliche Bewohner ist viel auf Dienstreise und da vermietet er sozusagen an mich unter." Er lächelt und wieder schieben sich die positiven Erinnerungen nach oben. Sein Lächeln. So einnehmend und wunderbar freundlich.

„Preisgünstiger als jedes Hotel", bemerke ich. Jake lacht verhalten auf und nickt.

„Auf jeden Fall. Ich kann zwar auch bei Marika unterkommen, aber glaube mir, mit den drei Hühnern hält man es nicht lange aus. Dass die sich noch nicht umgebracht haben, ist mir ein Rätsel", erzählt er im Plauderton. Ich nippe kurz an dem Wasser und stelle das Glas zur Seite. Mir geht es wieder etwas besser. Ich beobachte ihn, während er mir erzählt, welche Verrücktheiten in der unteren Etage vor sich gehen und lächele. Ich muss gestehen, dass ich nicht mehr an Jake gedacht habe, doch jetzt, wie er hier vor mir steht, breitet sich ein warmes Gefühl in mir aus. Allerdings ploppt auch erneut der Gedanke an Raphael auf. Und lässt somit auch wieder Ärger und Frustration aufkeimen. Ich darf nicht mehr an ihn denken, denn er ist der verdammte Freund meiner Schwester.

„Hast du noch etwas anderes zu trinken da?", frage ich, um mich abzulenken und um die Situation zu retten.

„Was möchtest du denn?" Jake beugt sich zum Kühlschrank und öffnet die Tür, „Also, ich habe noch Colabier, irgendetwas Bierartiges und ... noch mehr Biere..." Er tippt sich an die Lippe und sein Blick wird kritischer.

Doors of my Mind - Der Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt