Von Konnichi wa und Sayonara

1.6K 127 64
                                    

Kapitel 2 Von Konnichi wa und Sayonara

Nachdem ich den Schreck endlich verdaut habe, bin ich schnell an meinem Rechner und schließe hektisch alle Internetseiten. Der Bildschirm wird wieder dunkel und langsam verstummt das penetrante Brummen des Rechners. Stille. Sie ist beruhigend und aufreibend zu gleich, denn jetzt bahnen sich wieder die verschiedensten Gedanken ihren Weg. Ich lasse meinen Kopf auf die Tischplatte sinken und bilde mir ein, den Geruch von Raphael daran wahrzunehmen zu können. Unsinn, aber es hat etwas Berauschendes. Ich komme ihm selten nahe genug, um seinen Duft direkt in mich aufzunehmen, aber meine Schwester riecht oft nach ihm. Auch ihr Zimmer und das Bad, wenn er es am Morgen verlässt und ich direkt nach ihm hineinkomme. Ich weiß, dass er manchmal mein Duschbad benutzt. Meine Augen sind geschlossen, während ich mir vorstelle, wie er unter der Dusche steht und langsam seinen stählernen Körper einreibt. Das Schließen der Internetseiten war definitiv zu voreilig.

Mühsam stehe ich auf und lasse mich erneut aufs Bett fallen, blicke zu meinem Handy und entschließe mich dazu, doch bei Shari anzurufen. Es dauert einen Moment, bis sie rangeht.

„Namasté", flötete es aus meinem Hörer und durch die Begrüßung weiß ich, dass sie mit ihrer Familie zusammensitzt. Familie Ambani stammt aus Indien und trotz Sharis bewegter Jugend und unerschöpflichen Aufgeschlossenheit versucht sie brav, einige der Traditionen zu befolgen, die ihre Eltern ihr diktieren. Sie sind streng und traditionell, aber hin und wieder etwas modern.

„Konnichi wa", rufe ich zurück und weiß, dass sie die Augen verdreht. Nach den ersten Malen, die sie mich mit Namasté begrüßte, habe ich begonnen, ihr auf einer anderen Sprache zu antworten. Noch habe ich nicht alle Sprachen ausgereizt. Im Hintergrund höre ich eine Unterhaltung auf Hindi und Englisch.

„Heißt das nicht Ni hao?", fragt Shari und ich höre, wie die Stimmen leiser werden.

„Das ist Chinesisch, du Primel."

„Die gleiche Suppe."

„Lass das keinen hören, sonst verarbeiten sie dich zu Sushi", witzele ich gespielt entsetzt und werde dann wieder Ernst, „Was gibt es wichtiges?" Ich höre sie seufzen und danach das Rascheln ihres Saris beim Gehen. Es dauert einen Moment bis sie mir antwortet.

„Mir wurde Andrew als Projektpartner zugeteilt", entflieht es ihr, als sich ihre Zimmertür schließt. Andrew. Ein stiller und höflicher Junge. Ziemlich unproblematisch.

„Und?"

„Na, wie erkläre ich meinen Eltern, dass ich die nächsten Wochen ständig einen Kerl mit nach Hause bringen muss."

„Trefft euch bei ihm."

„Wie erkläre ich das?"

„Wechselt euch ab."

„Er ist ein Kerl!"

„Trefft euch unter einem Baum."

„Ehrlich? Ich dachte, ich bekomme von dir Hilfe." Sie wirkt säuerlich. Ich seufze ebenfalls und blicke kurz aus dem Fenster.

„Trefft euch in der Bibliothek. Dort seid ihr nicht allein und es ist ein sehr unverfänglicher Ort", sage ich schließlich und höre von der anderen Seite ein Aufatmen.

„Oh, das ist hilfreich. Mit dir darf ich schließlich auch in die Bibliothek und du bist nicht mal halb so harmlos wie Andrew", sagt sie fröhlich und ich bin empört. Was heißt hier nicht harmlos? Wenn sie wüsste. Ich schmolle und schweige.

„Mark? Bist du noch dran. Mark?"

„Ja, ich überlege nur gerade, ob ich jemals wieder hilfreich für dich bin."

Doors of my Mind - Der Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt