Ich, der Bruder seiner Freundin

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Kapitel 16 Ich, der Bruder seiner Freundin

Obwohl Raphael das gesamte Wochenende bei uns verbringt, wechseln wir kein weiteres Wort miteinander. Maya ist zu jeder Sekunde bei ihm und auch sonst scheint er mir aus dem Weg zu gehen. Ich kann es ihm nicht verübeln. Auch für mich ist es noch immer seltsam, vor allem wenn meine nicht erwähnenswerte Fantasie einsetzt und ich sabbernd die Situation weiterspinne. Oft ziemlich stupide, aber was soll ich sagen? Allein der Gedanke daran, wie er nackt vor mir steht und seinen gestählten Körper an mir reibt, lenkt meinen Geist immer nur in eine Richtung. Ich, wild keuchend unter ihm. Wahlweise über ihm. Hauptsache mit ihm.

Genau diese Bild zeichnet sich in meinem Kopf, als ich am Dienstag in der Mensa auf Shari warte. Ich lümmele mich auf einen der unbequemen Plastikstühle und lasse meinen Kopf nach hinten hängen, während ich mir vorstelle, wie Raphael mir die Leviten liest. Ich schließe die Augen, sehe sofort Raphaels trainierten Körper, der sich unnachgiebig an meinen drückt. Sein warmer Atem, wie er auf meine Haut trifft. Ich lechze nach dem Geschmack seiner Lippen. Ich habe eine Kostprobe bekommen und jetzt ist es noch schlimmer als vorher. Ich atme kontrolliert ein und wieder aus. Als ich die Augen öffne, blicke ich in Sharis verkehrtherum stehendes Gesicht.

„Salam aleikum", piepse ich ihr entgegen und sehe, wie sich eine ihrer feinen Augenbrauen hebt.

„Wa aleikum al salam", antwortet sie mir perfekt und ohne zu zögern. Sie lächelt, ihr schönes Shari-Lächeln.

„Was tust du da?" Sie beugt sich noch immer zu mir herab und verschränkt die Arme vor der Brust. Ein paar ihrer schwarzen Haare kitzeln meine Wange und ich puste sie davon.

„Ich träume."

„Wovon?" Die Frage lautet wohl eher von wem, aber das sage ich natürlich nicht.

„Von einem riesigen Gummibärchen mit Waldmeistergeschmack", flachse ich träumerisch. Sie richtet sich auf, verzieht das Gesicht skeptisch und lässt sich auf dem Stuhl neben mir nieder. Sie weiß, dass ich nur rumspinne. Ich lehne mich nach vorn und sehe einigen Mitschülern dabei zu, wie sie ihre Tabletts mit Essen hin und her tragen.

„Ich befürchte langsam, dass bei deinem Sturz am Freitag doch mehr kaputt gegangen ist als gedacht."

„Ich bin schon immer so gaga. Ich habe es nur besser versteckt."

„Das heißt, ich muss jetzt ständig mit solchen kuriosen Kommentaren rechnen?", stellt sie fest und macht dabei ein furchterfülltes Gesicht.

„Zu jeder Tag- und Nachtzeit", kommentiere ich verschwörerisch und schiebe den Stuhl zurück. Shari schüttelt den Kopf, beginnt aber zu kichern. Nun fragt auch sie sich, was bei mir schief gegangen ist. So, wie alle anderen auch.

„Ich besorge uns jetzt Mittagessen. Hast du einen Wunsch?", bestimmt stehe ich auf. So viele Möglichkeiten haben wir in unserer rumpligen Kantine sowieso nicht. Für einen Moment überlegt sie, streicht sich grübelnd über das Kinn, dann hellen sich ihre schönen Augen deutlich auf.

„Spaghetti! Mit ganz viel Käsesoße!" Ich lache, nicke und verschwinde zur Essensausgabe. Ich hole uns zwei Teller der Nudeln mit Käsesoße, eine Cola und schlendere zu unserem Tisch zurück. Schon von weitem sehe ich Andrew neben ihr stehen. Shari lächelt und blickt ab und an verlegen zur Seite. Ich verlangsame meinen Schritt und versuche den Beiden so viel Zeit wie möglich zu geben. Also nehme ich einen Umweg, gehe einmal um die Tische herum und nehme dann den Weg schlängelnd durch die Reihen. Bald ist unser Essen kalt. Als Andrew aufschaut und mich sieht, muss ich mein normales Tempo fortsetzen.

„Mark", sagt Andrew und ich stelle das Tablett mit unserem Essen auf den Tisch ab.

„Andrew. Wie geht's dir?", frage ich höflich.

Doors of my Mind - Der Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt