Fehlende Objektivität

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Kapitel 7 Fehlende Objektivität

Ich lasse den Blick durch mein chaotisch aufgeräumtes Zimmer wandern. Das Chaos ist bei mir Methode. Danach sehe ich auf mein Handy, das noch immer mit schwarzem Display vor sich hin vegetiert. Ich stöpsele es an den Strom und habe so gleich 5 neue Benachrichtigungen. Davon sind allein 4 von Shari. Von den ganzen verpassten Anrufen will ich gar nicht erst anfangen. Seufzend drücke ich auf das Rückrufsymbol. Es dauert lange, bis sie rangeht.

„Hey Mark, warte kurz...", höre ich sie kurzangebunden sagen. Ich höre sie laufen und dann wie sich eine Tür schließt.

„Kia ora, little Puāwai", begrüße ich sie auf Maori, nachdem ich mir sicher bin, dass sie mir nun gefahrlos zuhören kann. Ich nenne sie kleine Blume. Meistens auf Japanisch, aber manchmal auch in meiner Tagessprache. Sie hat für mich etwas Unschuldiges und Reines, genauso wie eine zarte Blume. Meistens kann Shari es erahnen und beginnt dann zart zu kichern. Auch heute. Es erleichtert mich, denn anscheinend haben ihre Eltern sie nicht sofort mit einem One-way-Ticket nach Indien verfrachtet.

„Wie hast du den Abend überstanden?", frage ich sorgenvoll und habe noch immer ein schlechtes Gewissen, dass ich mich nicht bei ihr gemeldet habe. Sie seufzt leicht, aber geräuschvoll.

„Gut." Das kommt zu direkt und zu scharf.

„Gut sollte eigentlich besser klingen."

„Ich bin sauer, dass mich mein Vater fast daraus geschliffen hat", bellt sie erklärend, „Sie haben gar kein Vertrauen in mich. Habe ich ihnen jemals Grund zur Sorge gegeben? Habe ich jemals Mist gebaut? Nein, ich bin immer hilfsbereit, respektvoll und artig. Immer! Und wir hatten die Zeit im Blick...", beendet sie ihr Tirade abrupt. Danach schnauft sie und ich stelle mir ihr hübsches Gesicht vor, mit tief gerunzelter Stirn und kleinen Zornesfalten auf ihrer zierlichen Nase. Es wundert mich nicht, dass mich diese Vorstellung eher angezuckert giggeln lässt, als dass es mich beunruhigt. Shari rastet wirklich selten aus. Nie ohne Grund. Ich kann sie verstehen. Allerdings sage ich nicht, dass ich mir sicher bin, dass wir es verplant hätten, rechtzeitig loszufahren.

„Ich verstehe einfach nicht, warum sie nicht sehen können, dass ich kein kleines dummes Mädchen mehr bin. Oww, es regt mich so auf, Mark", wettert sie aufgebracht und ich mache es mir in meinem Bett gemütlich, da ich befürchte, dass es noch eine Weile so weitergehen kann.

„Ich war dir gestern keine Hilfe, tut mir leid.", entschuldige ich mich.

„Du hättest nichts ändern können. Nachher hätte dich mein Vater noch aufgefressen." War das ein Witz? Ja, es war ein Witz!

„Ich wäre für ihn wahrscheinlich nur ein Appetithäppchen... ein Pausensnack", gehe ich darauf ein. Ebenso ernsthaft und dennoch amüsiert. Shari kichert. Ich stelle mir unwillkürlich vor, wie ihr Vater meine Knochen ausspuckt, sich genüsslich den Bauch reibt und sich dann fragt, weshalb nicht mehr an mir dran war.

„Mit Sicherheit", kommentiert sie, „Wie war dein Abend noch und vor allem wo warst du? Ich konnte dich nicht erreichen. Auch heute Morgen nicht. Ich hatte Maya am Telefon und sie war sich sicher, dass du nicht nach Hause gekommen bist. Also, was hast du zu berichten?" In ihrer Stimme schwimmt pure Neugier.

„Ähm ja. Mein Akku war leer und... Ich bin noch dageblieben und habe dann leider doch was getrunken."

„Und?"

„Was und?"

„Hast du eine aufgerissen, oder was?" So etwas habe ich noch nie aus ihrem Mund gehört.

„Shari. Nein, ich habe niemanden aufgerissen." Ich hätte vielleicht Keine sagen sollen, denn am anderen Ende wird es still. Seltsam lange.

„Weißt du, dass du noch nie mit mir über solche Dinge gesprochen hast?"

Doors of my Mind - Der Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt