Kapitel 3

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Die alte Dame hatte recht gehabt. In diesem Nebel konnte sich alles verstecken.
Das Ding zog reglos mit den Schwaden mit, auf der Kante von Existenz und Abwesenheit balancierend. Es hing schon länger zwischen den Welten als der Mond um die Erde tanzte und es würde erst auf eine Seite springen wenn es gerufen wurde.
Sein Name war Agares.
~~~~~

Ein halbes Jahr später

"Weischt- weisst duu eightschlisch wie groß diesche Tschinger shind?"
Avery hatte den Faden verloren und das nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Wie war Fallon bloß von der Erklärung wie man eine Astra A-60 richtig abschoss ohne sich das Handgelenk zu brechen, zu einer Erläuterung über die Größe eines durchschnittlichen Karpfens gekommen? Trotzdem nickte sie verständnisvoll als sie merkte dass sie sie ansah. Fallon begann zufrieden weiter zu erzählen.
Die Beiden saßen im halbdunklen Buchladen. Oder, nein. Avery saß, was Fallon da tat konnte man kaum als sitzen beschreiben. Es war eher eine Art von dramatischem Hängen, die sehr an Gemälde aus dem achzehnten Jahrundert erinnerte. Avery fragte sich manchmal ob sie dafür extra ein paar Gelenke auskugelte (Fallon war es zuzutrauen), doch in diesem Moment war sie zu betrunken um irgendwelche Fragen zu stellen.
"Fall-Fall-on mein liebsches Mädchen,", sie versuchte nicht allzu heftig zu lallen, "Ich fürch... Fürchte es wird Zeit. Das letzzzte Glas *hick* war ein kleinesch bisselchen viel."
So lief es inzwischen fast jeden Dienstagabend: Fallon kam mit einer, oder zwei, oder drei Flaschen Rotwein in den Laden, Avery versuchte 30 Sekunden lang vernünftig zu sein bis das Argument kam dass es doch Dienstag war und sie wortlos nach oben ging um Gläser zu holen. Avery hatte eine sehr komplizierte Beziehung zu Dienstagen.
Dann tranken und diskutierten und dösten sie bis die hässliche Standuhr neben dem Fenster eine Zeit anzeigte die definitiv nicht angebracht war um an einem Wochentag noch wach zu sein und Avery sich in ihr Apartment schleppte um noch ganze eineinhalb Stunden Schlaf zu bekommen. Am nächsten Morgen schwor sie sich dann, verkatert und mit blauen Ringen unter den Augen, es nie wieder zu tun. Der Vorsatz hielt seltsamer weise immer ziemlich genau bis zum nächsten Dienstag an.
Es war eine Routine die schon in der Woche nach ihrer ersten Begenung mit Fallon anfing, als diese ihr zum Dank für die ganze Vor-dem-Verbluten-gerettet-Sache, eine gute Flasche Cabernet Sauvignon geschenkt hatte und Avery sie einlud ein Gläschen mit ihr zu haben. Es wäre einfach Verschwendung gewesen so einen guten Jahrgang alleine zu trinken. Es hatte jedenfalls nichts damit zu tun dass sie dann ein wenig länger diese schönen Kaffe-farbenen Haare betrachten konnte, oder dass sie rausfinden wollte ob ihre Augen nun dunkel- oder hellgrau waren. Nein danke, soetwas würde Avery nicht tun.
„Jeppp!". Fallon ließ das P ploppen. „Schhhon verstansen. Bin son weg."
Avery wedelte, ohne ganz zu wissen warum, mit ihrer Hand und begann mühsam sich aufzurichten. Die Kopfschmerzen fingen schon an, was den Gedanken an die Treppensymphonie nicht besonders verlockend machte. Vielleicht könnte sie auch einfach im Sessel schlafen.
„Bis nägschten Diensss- Dienstach."
„Nein, isch trinke niw, nie wieder an einem Dienschtag!"
Fallon kicherte und stolperte über die Bücherhaufen auf dem Boden zum Ausgang,wo sie einen kurzen Moment innehielt um ihren langen Arm durch den Schlitz zwischen Rahmen und Tür zu zwängen um von innen zu klingeln. Sie schüttelte sich vor Lachen. Beim Wegtorkeln murmelte sie etwas was sich verdächtig so anhörte wie: „Gehschte rein, Guuckchte raus.".
Avery stieß die Luft aus und versuchte sich davon zu überzeugen auf zu stehen, da viel ihr Blick auf eines der Bücher die von Fallon's früheren Versuchen Informationen über Karpfen zu finden unachtsam auf dem Boden gelandet waren. Irgendein Gedichtband, völlig uninteressant, doch sie hob es auf und versuchte es auf ihren Knien zu balancieren. Ohne großen Erfolg jedoch, denn es fiel sofort offen in ihren Schoß. Aus einem deutlich benebelten Impuls heraus begann sie glucksend zu lesen. Es waren Verse über arme Leute die reiche Leute sein wollten und Vögel und, aus irgendeinem Grund der ihr nicht ganz klar war, reiche Leute die arme Leute sein wollten. Ihre Zunge fühlte sich zwar an als wäre sie mindestens doppelt so groß wie es möglich sein sollte, aber das hielt sie nicht davon ab ein paar Zeilen vorzulesen.
„Isch rufe dich, duu sanmpftes Wasscher. Ich rufle dish, mein Hersens- mein Herzenschliesch. Ich rufe disch, Agar... Agasch... Agares? Nee, Arhab-".
„Pflatsch!"
Das Licht ging ganz aus. Es hörte sich kurz so an hätte jemand ein rauschendes Radio in Avery's Kopf platziert und sie kniff orientierungslos die Augen zusammen, bevor es plötzlich aufhörte und das Licht wieder anging. Es war als wäre nie etwas passiert. Naja, es war fast als wäre nie etwas passiert, denn sie war sich ziemlich sicher dass da vorher niemand auf dem Boden gelegen hatte.
Sie versuchte gerade ihre Augen dazu zu bringen genug zu fokussieren um denjenigen besser zu erkennen, da sprang die Person auf und starrte ihr direkt ins Gesicht.
Verwirrt und ein wenig beeindruckt überlegte sie welchen Wein sie als letztes getrunken hatte.
Vor ihr stand ein Ding. Für einen Menschen waren da nämlich zu wenige Konturen, so als würde man auf ein verschwommenes Foto von jemandem sehen, nur dass das hier eben kein Foto war. Es war klein, höchstens 1,40, und trug einen Schottenrock der Avery auffallend gut gefiel. Endlich war sie mal nicht die Einzige die Karo trug. Das Ding hustete.
Dann sagte es in einer unpassend, tiefen Stimme: „Hallo. Ich bin Agares, ein Geist der Zwischenwelt, ein Wesen der Schatten, Überbringer von gequälten Seelen. Du kannst mich Aggy nennen."

Um neun in DownfalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt