6.

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Nachdem ich weitere Minuten einfach an diesem Schaufenster stehe und auf den Boden schaue, raffe ich mich auf. Ich muss hier weg. Nicht, dass mich noch jemand vermisst.

Obwohl ich mich hier meinem Dad so nahe fühle. Ich spüre seine Anwesenheit. Seine Geborgenheit.

Ich sehe noch immer seinen leblosen Körper und das ganze Blut. Immer wieder.

Mein Herz wird ganz schwer und meine Augen ganz glasig.

Es hat mir mein Herz gebrochen. Es ist so gebrochen, dass es mir die Luft zum Atmen nimmt.

So gebrochen, dass ich kaum noch weinen kann.

So gebrochen, dass ich es einfach nicht realisieren kann und will.

Ich will es einfach nicht wahrhaben.

Es ist ein surreale Zustand. Eine Blase aus der ich nie wieder raus kommen soll.

Ich bin so weit oben und einen Atemzug später so weit unten wie nur möglich.

Alles in mir schmerzt, krampft sich zusammen und macht sich schwer.

Ich denke ein gebrochenes Herz schon einmal gespürt zuhaben, doch ich hatte keine Ahnung.

Es war nichts. Nichts im Gegensatz zu dem hier. Das hier ist so viel schlimmer. So viel, wie man sich auch nur ansatzweise vorstellen kann.

Ich atme schwer. Wenn ich meine Augen schließe sehe ich all die Erinnerungen die wir teilen.

Er war beides für mich. Vater und Mutter und das hatte er verdammt gut getan. Bis gestern.

Ich will nicht glauben, dass er mich angelogen hat. Ich will einfach nicht diesem schönen Widerling glauben müssen. Mein Leben darf keine Lüge gewesen sein.

Ich schließe schmerzverzerrt meine Augen. Jedes mal wenn ich an ihn denke schmerzt es mehr. Es versetzt mir jedes mal ein Stich in mein schwaches Herz.

Ich bin ein Wrack. Der Schatten meiner selbst. Wie soll ich jemals die Schule beenden können?

Ich werde gar nicht fähig sein in meine alten Routinen zurück zu kehren. Denn überall war mein Vater mit eingebunden. 

Schnell stoße ich mich vom Schaufenster ab. Doch die immer größer werdende Angst vor der Zukunft ist mir dicht auf dem Fersen und droht nun über mich hinein zu brechen.

Weg.

Einfach weg.

Soph macht sich bestimmt auch schon Sorgen. Obwohl ich hoffe, dass sie es nicht tut. Ich denke mir einfach einzureden, dass Sie sich sorgen machen könnte, weil ich von jemanden vermisst werden möchte.

Ich wäre so gern nicht bei meiner besten Freundin und ihrer Familie. Einfach, weil ich Ihnen das Fest nicht verderben will. Ich habe aber keine Wahl. Man hat mir nicht einmal die gelassen.

Wäre ich nicht bei ihnen dann bei irgendwelchen fremden. In irgendeiner Einrichtung.

Womöglich weg gesperrt wegen meinem Trauma. Alle wissen es ja besser als ich, doch keiner versetzt sich mal in meine Lage.

Keiner fragt sich, wie ich mich wohl fühlen muss.

Verdammt.

Also lasse ich meine Hände wieder in meine Taschen sinken und will so schnell wie möglich zu Soph zurück.

Ein Gefühl, als würde ich verfolgt. Meine Paranoide Ader hängt wieder raus. Ist es der Typ von eben? Ist es sein Bruder?

Ich atme aus und versuche ruhig zu bleiben, schnell drehe ich mich um und danach im Kreis, doch hier ist niemand.

Nur ich. Nur mein Atem.

Ich bin so paranoid. So verdammt paranoid.

Um zu Soph's Haus zu kommen,  muss ich an meinem vorbei. Wo bis gestern ich und mein Dad drin gelebt haben. Dieser bittere Schmerz füllt auch den letzten Teil meines Herzens.

Ich bleibe am Anfang der Straße stehen und sammele mich einmal. Es ist wirklich schwer für mich.

Ich setze ein Schritt vor dem anderen, versuche einfach vorbei zu gehen. Jedoch bleibe ich genau vor der Einfahrt stehen. Meine Füße lassen es nicht zu, dass ich weiter gehe.

Sie sind wie angewurzelt. Schnell reiße ich meine Hände aus meinen Taschen und balle Sie zu Fäusten. Mein Atem ist unkontrolliert.

Plötzlich das zerbrechen von Glas, wie es laut auf den Boden fällt und immer kleiner dabei wird. Ich zucke zusammen, stelle mir das Glass vor wie es zerschmettert wird, wie es bei meinem Herz passiert ist.

Versuche für einen Moment heraus zu finden, woher es kommt. Als es mich wie ein Schlag trifft. Es bremst mich noch weiter aus. Es kommt aus dem Haus, aus meinem verdammten Haus.

Ich reiße mein Kopf hoch, kann aber nichts ungewöhnliches sehen. Meine Füße tragen mich leise näher an das Haus. Mein ganzer Körper zittert. Vor Angst, Adrenalin und Trauer. Das alles zusammen.

Je näher ich komme, desto mehr sehe ich die offene Tür. Die offene Tür die mir eben noch nicht aufgefallen ist.

Mein Herz schlägt so schnell...als würde es explodieren. Meine Hand liegt auf meiner Brust. Mein Herz hämmert so schnell, dass es schmerzt.

Es ist dumm, doch mein Körper verselbstständigt sich. Ich muss wissen wer in meinem Haus einbricht. Wer dort ist und was dieser jemand zu suchen hat. Ist er es? Ist es sein Bruder oder ist es vielleicht meinen verlorener Onkel?

Viele mir kennenden Vermutungen gibt es nicht.

Ich schaffe es die Tür geräuschlos weiter zu öffnen. Ein weiteres Krachen von oben. Mein Atem geht weiterhin stoßweise. Ich versuche so leise wie möglich zu sein.

Für einen Moment denke ich noch daran zu verschwinden, als ich jemanden sprechen höre. Jemanden italienisch sprechen höre. Er muss es sein!

So überzeugt davon, dass er es wieder war und wirklich keine Skrupel hat, stampfe ich die Treppe rauf. Ich stampfe Sie laut und ziemlich wütend rauf.

Mit beiden Händen öffne ich schlagartig die Tür meines Zimmers. Mein ganzes Selbstbewusstsein schwindet so schnell, wie die Farbe aus meinem Gesicht. Ich habe Recht. Es ist italienisch. Jedoch ist dies hier nicht der Typ von eben. Noch sein Bruder.

Es ist eine ganze Reihe von Männern. Einer bedrohlicher als der andere. Männern die gefährlich und einschüchternd wirken. Sie sind genauso schockiert von mir, wie ich von ihnen.

Meine Augen sind weit aufgerissen. Mein Herz ist für einen Augenblick stehen geblieben. Ich öffne mein Mund, mit dem Versuch zu schreien, doch es kommt kein Ton raus.

Der der eben noch gesprochen hat murmelt etwas ins Handy. Dabei nickt er einem großen Glatzköpfigen Typen zu. Dieser macht sich direkt auf dem Weg zu mir und natürlich sieht sein Gesicht dabei keines Wegs freundlich aus. Es sieht aus wie das Gesicht von dem Zwilling.

Die selben Züge. Die selben Augen. Die selbe olivfarbene Haut. 

Nun hat also doch meine letzte Stunde geschlagen. Wie bin ich bitte so schnell in so viele verkorkste Situationen auf einmal gelandet?

Omertà & PentitoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt