1 - Von Fremden zu...

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Er sah ihn selten. Die Chance zusammen ein Match zu bestreiten war gering bei so vielen Teilnehmern. Er war sich noch nicht einmal sicher wie viele es waren. Er hatte aufgehört zu zählen.

Dieses Gefühl war ihm fremd und obwohl es Unbehagen in ihm auslöste, freute er sich jedes Mal darauf. Das Warten dennoch machte ihn verrückt und brachte seine Handflächen zum schwitzen.

Joseph zog ein weißes Tuch über die Klinge seines Schwertes und betrachtete sich im Spiegel.

"Du siehst glücklich aus." Säuselte eine weiche Frauenstimme hinter ihm. Joseph spürte die zarte Berührung einer Hand auf seiner linken Schulter. Mary's Spiegelbild erschien direkt neben ihm. Sie platzierte ihr Kinn kaum merklich auf seiner anderen Schulter und schaute ebenfalls, dennoch traurig in den Spiegel.

Das hatte nichts zu sagen. Seit dem ersten Tag machte sie dieses Gesicht. Selbst wenn sie sich freute. Joseph kannte sie gar nicht anders. Wer wusste schon was ihr widerfahren war?

"Glücklich?" Wiederholte er mit einem tiefen Unterton in der Stimme. Mary stieß ein geseufztes "mhmmm~" aus bevor sie wie eine Halluzination wieder verschwand.

Joseph's Blick wanderte nach unten. Blutüberreste klebten an dem Tuch. Er betrachtete sie schweigend.

Glücklich?

Er hatte es nicht fertig gebracht den kleinen Überlebenden ein weiteres Mal zu schlagen. Nur seine graue Silhouette hatte er durch das Tor verschwinden sehen. Doch dieses Mal hatte er sich umgedreht. Ein einziges Mal. Das erste Mal.

Glücklich. Joseph's Mundwinkel zuckten. Hätte er doch nur ein Foto. Dann könnte er ihn jeden Tag sehen. Doch ein Foto konnte niemals mit der Realität mithalten. Diese Erkenntnis hatte den Fotograf wie ein Schlag getroffen und er wusste, er musste sich zusammenreißen. Dennoch waren diese Gedanken nicht vermeidbar.

Bis jetzt hatte er alles und jeden mit einer Kamera festgehalten, die Realitäten verdreht, Seelen gefoltert und auf ewig weg gesperrt. Sie 'lebten' in seinen Fotos weiter. Doch das interessierte ihn nicht. Es hatte ihn noch nie interessiert. Was er erschaffte, war Kunst. Eine ganz eigene Art von Kunst. Etwas, was sonst niemand tat. Er war einzigartig. Niemand sonst würde ihn imitieren können.

Und dennoch hatte dieser Überlebende es geschafft sich seiner Kamera bis jetzt zu entziehen. Unzählige Male hatte Joseph ihn schon vor der Linse gehabt. Und jedes Mal war er wie paralysiert wenn er kurz davor war den Auslöser zu drücken. Es war als könnten sich seine Augen nicht von ihm lösen sobald er ihn durch den viereckigen Kasten betrachtete.

Er seufzte leise and steckte sein Schwert zurück in die Scheide. Was würde er das nächste Mal tun? Nach diesem Match würde es eine Weile dauern bis Joseph ihn wieder sah. Oder vielleicht auch nicht? Es war reiner Zufall wer, wo und wann zu einem Match antreten musste. Manchmal dauerte es Monate bis er und der Einbalsamierer zusammen in ein Areal gesteckt wurden. In eher seltenen Fällen dauerte es nur ein paar Tage.

Bei dem Gedanken an die anderen Jäger verdunkelte sich Joseph's Miene. Er konnte sie nicht nach ihrer Erfahrung mit ihm fragen ohne das sie Verdacht schöpfen oder ihn in Frage stellten. Aber es wäre viel Wert mehr zu wissen. Vielleicht wollte er aber auch nur sicher gehen das niemand außer Joseph selbst ihm weh tun würde.

Was für ein törichter Gedanke. Natürlich taten sie das. Das war ihre Aufgabe in diesem Spiel. Eine Aufgabe, die sich keiner von ihnen entziehen konnte. Irgendwann würden seine Handlungen ihn einholen, das wusste Joseph. Doch daran wollte er jetzt noch nicht denken.

Am Abend saß er in seinem Zimmer, an einem langen, ovalen Tisch und beugte sich über eine Schreibmaschine. Wahrscheinlich eine der einzigen die hier funktionierte. Er hatte lange nicht mehr geschrieben, vorallem nicht als er in dem üblichen Alltagstrott gefangen war. Doch jetzt fühlte es sich richtig an. Vielleicht würde es ihm sogar helfen seine Gedanken zu sortieren.

"Liebster Bruder, ..." Begann er und hielt danach kurz inne. Es war viel zu lange her seit er seinem Zwillingsbruder geschrieben hatte. Jetzt fehlten ihm die Worte.

"Es ist schon viel zu lange her seit ich dir das letzte Mal schrieb." Er verfasste seine Gedanken. So machte er es immer. Seite für Seite, manchmal die ganze Nacht. Sein Bruder war der einzige dem er alles anvertraute.

"Ich habe endlich einen Weg gefunden diesen Ort als nicht mehr ganz so schrecklich zu empfinden. Oder besser gesagt, dieser Weg fand mich. Ich weiß nicht wie lange ich ihn gehen kann, doch ich hoffe auf baldige Aufklärung meiner inneren Unruhe. Du würdest mir sicher davon abraten. Doch ich plane ihn das nächste Mal anzusprechen wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Ich hoffe dir geht es gut, wo auch immer du bist.
Dein, dich liebender Bruder,
Joseph."

Er beendete den Brief schneller als erwartet. Seiner Gefühlswelt nach zu urteilen, war er von mehreren Seiten ausgegangen. Alles in Worte zu fassen stellte sich jedoch als schwieriger heraus als gedacht.

Joseph faltete den Brief sorgfältig und schob ihn in einen Umschlag. Dann nahm er die Kerze die neben ihm vor sich hin tropfte und goss etwas von dem Wachs auf die Stelle, an der sich der Umschlag schloss. Anschließend drückte er sein Familien Siegel für einige Sekunden darauf bis der Wachs sich verfestigte. Er schob den Stuhl auf dem er saß nach hinten um eine Schublade an der Vorderseite des Tisches zu öffnen.

Diese war randvoll gefüllt mit versiegelten Briefen. Den neuen legte er dazu und schloss sie wieder.

Fortsetzung folgt...

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