10

442 4 0
                                    

Wir waren dreiundfünfzig, im Moment. Das variierte, je nachdem wie viele starben. Jeden Monat kamen zwei neue. Sie hatte alle dasselbe erlebt wie wir. Ein normales Leben, bis uns dieser Verrückte uns dort weggeholt hat. Wir alle wurden verkauft, sind auf der Fahrt durch eine endlose Wüste aufgewacht, uns wurde gesagt, dass wir keine Chance hatten, irgendwohin zu fliehen, wir würden sterben ehe wir die erste Straße erreicht hätten. Das hatte allen eingeleuchtet. Alle wurden in diesen Raum geworfen, alle wurden von anderen Kindern in ihrem Alter begrüßt und umsorgt. Allerdings nur einen Abend, da wir alle besseres zu tun hatten, nämlich unsere Arbeit. Wir hatten jeder einen Code eintätowiert, mit dem wir an Essen kamen. Mit diesem Code bekamen wir auch an unsere Arbeitskleidung. Die Arbeit bestand aus Bergbau, wir hatten gewaltige Höhlen, die wir zu allen Seiten vergrößern sollten, und das mit Säure. Jeder hatte eine bestimmte Stelle an der Wand, die ständig betröpfelt werden sollte. Der Fortschritt war nicht sichtbar, aber er war da. Wenn man lange genug hier war, erkannte man irgendwann, wie die Höhle wuchs. Wir arbeiteten solange bis das Licht ausging, aßen, bis das Licht im Schlafsaal ausging und schliefen, bis wir geweckt wurden. Morgens gab es nichts zu essen. Wir mussten uns direkt anziehen und an die Arbeit gehen. Alle Tage flogen vorbei, kaum einer machte sich die Mühe, sie zu zählen, auch ich nicht. Sterben taten diejenigen, die mit der Säure in Berührung kamen. Es reichte, sie mit einem Finger zu berühren, einen größer als handtellergroßen Fleck auf die Schutzkleidung zu bekommen oder die Dämpfe einzuatmen. Wir hatten Gasmasken, aber die waren für größere Gesichter als unsere, weshalb sie leichter verrutschten als sie sollten. Eine Aufsichtsperson zeigte sich nie, ich weiß also nicht einmal wem ich das hier zu verdanken hatte. In erster Linie vermutlich dem Kinderklauer, aber das glaubte ich irgendwie nicht. Als ich kam, hat man mir gesagt, dass ich mich besser an die Regeln halten sollte, weil sonst etwas schreckliches passieren würde, und alle hatte so verstört genickt, dass ich tat, was sie sagten. Mit der Zeit sind immer mehr von ihnen gestorben, denn besonders lange hielt niemand aus. Der Junge, mit dem ich gekommen war, war schon nach einer Woche gestorben. Ich hatte zusammen mit den anderen jedem Neuen gesagt, dass etwas Schreckliches passieren würde, wenn man nicht nach den Regeln spielte. Bisher hatte das niemand in Frage gestellt. Die Arbeit hier war hart, aber ich persönlich hatte nicht viel dagegen. Zuhause hatte ich viele Feinde gehabt, von meiner Familie über Freunde bis zu Rivalen um das Gebiet hatten mich alle gehasst. Hier war ich anerkannt, die Arbeit war nicht besonders anstrengend, und ich hatte einen geregelten Tagesablauf. So ziemlich alle anderen sahen nicht so aus, als würden sie so denken wie ich. Vielleicht hatte ich deshalb so lange überlebt, ich hatte Spaß daran. Alle, die lebten als ich angefangen hatte, waren gestorben, der letzte vor einem Monat. Seitdem musste ich jeden Abend durchzählen und die Zahl in einen Bildschirm im Gang eintippen. Dass ich das tun musste hatte mir eine Stimme erzählt. Durch einen Lautsprecher kam die Durchsage, dass ich in den Schlafsaal gehen sollte. Dort wurde mir meine Aufgabe als nun Ältester zugeteilt. Mir wurde ebenfalls mitgeteilt, dass alles videoüberwacht wurde und der Ton aufgenommen wurde. Ich hätte bei der Arbeit alle am Reden zu hindern, neue Kinder einzuweisen und nicht zu sterben. Ich nickte und wurde zurück zur Arbeit geschickt. An meiner Stelle war eine Fläche eingefärbt worden, was bedeutete, dass hier eine Säule entstehen sollte. Ich musste jetzt einfach um die Farbe herum die Säure hingießen, und das solange, bis die Säule so tief wie breit war. Das wurde jedem am ersten Tag gesagt, die Regeln waren allen klar. Niemand baute eine enge Beziehung zueinander auf, da allen bewusst war, dass jeder jederzeit sterben konnte. Die Neuen versuchten es anfangs immer, meistens miteinander, aber sie wurden meist vom ersten Tod, den sie miterlebten, dermaßen verstört, dass sie den Kontakt zueinander verloren und so auch die Anknüpfungspunkte eines freundschaftlichen Interagierens verloren gingen. Jeder konnte alle in dem Maße leiden, wie man das so tut, wenn man keinen engen Kontakt möchte. Niemand ging jemandem auf die Nerven, dafür sorgte ich. Ich wurde mit der Zeit immer älter als die anderen, da ich nicht starb, während alle anderen das taten. Ich war mittlerweile der Meinung, dass ich schon über zwanzig war, ich war aber schon mit siebzehn hier angekommen. Ich weiß nicht ob einige annahmen, dass ich mit dem Besitzer der Miene unter einer Decke steckte, einige sahen mich nämlich ein wenig schräg an, als wüssten sie nicht, was sie von mir halten sollten. Ich ignorierte das. Ich lebte einfach das Leben, das mir zuteilwurde. Ich wachte wieder von dem unglaublichen Lärm auf, der uns alle jeden Tag weckte. Alle standen auf, außer einer, ein Neuer. Ich wusste nicht genau, was ich tun sollte, also weckte ich ihn, damit er aufstand. Beabsichtigter Körperkontakt war ebenfalls verboten, weshalb ich ihm ins Ohr schrie, dass er aufstehen soll. Er wachte aber nicht auf. Ich nahm ihm die Decke weg, um ihn wenigstens zu wecken, ging dann aber auch zur Arbeit, da ich keine Lust auf Konsequenzen hatte. Ich war nicht für die anderen zuständig, das war jeder für sich selbst. Als wir eine Weile gearbeitet hatten, fiel mir auf, dass der Neue immer noch nicht da war. Langsam machte ich mir doch Sorgen, aber ich schob sie einfach zur Seite und stellte mir ein Lied vor. Das tat ich immer während der Arbeit. Plötzlich schwangen die Tore auf und zwei vermummte Männer kamen herein, in ihrer Mitte der Neue. Er blutete aus der Stirn und sah ängstlich aus. Einer der beiden Männer befahl uns zuzuschauen, um zu sehen, was passiert, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Sie warfen den Neuen in die Grube in der Mitte, die schon dagewesen war, als ich gekommen war. Ein Mann hielt den Neuen mit dem Fuß fest, der andere zeigte auf mich. Er winkte mich zu ihnen, ich solle den Eimer mitbringen. Ich brachte ihn langsam in die Mitte. Sie nahmen mir den Eimer vorsichtig aus der Hand und schütteten die gesamte Säure über den Neuen. Er schrie, allerdings nicht lang, da sein Hals zerfressen wurde. Ich konnte meine Augen nicht davon abwenden. Er wurde immer weniger, bis er irgendwann komplett zerfressen war. Die Säure, die überblieb fraß sich durch den Stein, die Grube war nun gut einen halben Meter tiefer. Ich blickte auf und sah rundherum in geschockte Gesichter. Das kramte die Erinnerung an meinen ersten Tag und die verstörten Gesichter aus meinem Gedächtnis heraus. Der Mann gab mir den Eimer wieder und schickte mich neue Säure holen. Ich stolperte los. Als ich die Höhle gerade verließ hörte ich, wie hinter mir eine laute Stimme alle zum Weitermachen aufforderte.


joa, hier ist mal wieder was. Tut mir leid, dass das so ein einzelner Paragraph immer ist, aber das ist eine stilistische Entscheidung, weil ich das nicht wirklich leicht zu lesen machen wollte..

Also, entschuldigung, mich regt das immer ziemlich auf, wenn es keine Absätze gibt, aber das habe ich mit Absicht so gemacht

Einseitige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt