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Etwas hatte sich verändert, und allen war klar was. Es war niemand Neues gekommen. Obwohl der Monat angebrochen war. Obwohl drei Leute gestorben waren. Ich wusste nicht, was die Menschen, die uns gefangen hielten dabei dachten, aber irgendetwas war im Busch. Wir machten trotzdem weiter, es blieb uns ja auch nichts anderes übrig. Mittlerweile waren wir nur noch achtundzwanzig Personen, beinahe die Hälfte der Anzahl, die wir bei meiner Ankunft waren. Und wir schrumpften weiter. Langsam, aber stetig fiel und fiel unsere Zahl, genauso wie die Fläche kleiner wurde, die wir bearbeiten sollten. Immer größere Flächen wurden eingefärbt, und so waren wir gezwungen, die Wände immer gerader zu machen. Der Raum, der entstanden war, war riesig, und ich habe mehrere Reihen von Säulen entstehen sehen und geholfen, sie zu formen. Der Raum hatte sich von der Fläche bestimmt verdreifacht, aber so genau konnte ich das nicht wissen, ich hatte bisher nie so viel auf die Gesamtfläche geachtet. Doch jetzt blieb einem fast nichts anderes übrig. Je mehr Wand fertig wurde, desto weniger wurden wir tatsächlich. Ich wunderte mich am meisten, dass eine Dunkelhaarige, die bestimmt schon ein Jahr hier war und auf mich immer sehr vernünftig gewirkt hatte, auf einmal stolperte und mit der Säure in Berührung kam. Von ihr hätte ich etwas anderes erwartet, so ein einfacher und langweiliger Tod wurde ihr nicht gerecht. Aber so wie ihr ging es vielen. Irgendwann war ich allein hier. Eine einzige Stelle war übrig, die ich bearbeiten konnte, und ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, denn lange konnte ich nicht mehr beschäftigt sein. Und damit lag ich richtig, nach dem Tod meines letzten Gefährten hatte ich angefangen die Tage zu zählen, und es vergingen gerade einmal dreizehn, da war ich fertig. Ich betrat die Halle und stellte fest, dass meine Stelle nun ebenfalls mit Farbe bedeckt war. Ich machte einen Rundgang und stellte fest, dass ich nirgendwo mehr arbeiten konnte. Mir wurde angst und bange, ich war verwirrt, irgendetwas musste doch jetzt passieren. Doch nichts passierte, und genau das bereitete mir immer größere Probleme. Denn ich musste nicht nur meine Tage selbst füllen, mir wurde darüber hinaus nichts mehr gegeben. Kein Essen, keine neue Kleidung, wie es üblich war, kein gar nichts. Ich sollte also ausgehungert werden. Das veranlasste mich, mich nach Auswegsmöglichkeiten umzusehen, auch wenn ich mir keine Hoffnungen machte, solange wie ich bereits hier gewesen war, hätte bestimmt jemand einen Ausweg gefunden, egal wie versteckt er vielleicht wäre. Aber ich hatte nichts anderes zu tun und würde sowieso bald sterben. Nur wusste ich absolut nicht, wo ich anfangen sollte. Ich konnte schließlich schlecht mal unter dem Kopfkissen nachsehen, ob nicht dort jemand eine Fluchtmöglichkeit versteckt hatte. Nein, ich musste nachdenken. Es gab ja auf jeden Fall eine Möglichkeit hier herein zu gelangen, schließlich waren wir ja irgendwie hier gelandet. Dann erinnerte ich mich an die Männer, die damals den Jungen, der nicht aufgestanden war, getötet hatten. Sie mussten das hier ja auch auf einem normalen Weg verlassen haben. Und diesen Weg musste ich nur noch finden. Sie mussten in den Schlafsaal gelangt sein, ohne einem von uns über den Weg gelaufen zu sein, das war allerdings kein großer Tipp, da wir uns alle in der Halle befunden hatten. Dennoch, irgendwo hier musste ein Ausweg sein. Und tatsächlich, nach langem Suchen fand ich eine Tür, die sich beinahe perfekt in die Wand einfügte, nur ein Eingabefeld deutete darauf hin, dass hier eine Tür sein musste. Ich probierte mein Glück und drückte irgendwelche Zahlen, und nach dem dritten Mal hatte ich schon Angst, dass jetzt eine Sperre intakt treten würde, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Die Tür ging auf. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Sowas war nicht real. Es konnte gar nicht real sein. Was für ein unnatürlicher Zufall. Ich wollte mein Glück nicht in Frage stellen und trat mit einem letzten Blick auf den Schlafsaal, in dem ich die letzten Jahre gelebt hatte, durch die Tür. Es leuchtete kein einziges Licht in dem Gang, der sich anschloss, und so wurde es immer dunkler, je weiter ich mich von der Tür entfernte. Gerade als ich an einer Kurve angekommen war, knallte die Tür hinter mir zu. Mein Herz schlug schneller und ich leckte über meine trockenen Lippen. Ein Luftzug bedeutete immerhin, dass irgendwo ein Ausgang war. Ich ging immer weiter geradeaus, zum Glück musste ich mich nie für eine Richtung entscheiden, weil keine weiteren Wege von dem Korridor abgingen, abgesehen von einigen Türen, die allesamt verschlossen waren. Irgendwann hörte der Gang auf und eine Tür versperrte mir den Weg. Sie war ebenfalls abgeschlossen, aber ich konnte ein Zahlenfeld entdecken, auf dem ich wieder herumtippte. Ich versuchte mich an die Kombination zu erinnern, die mich aus den Schlafsälen gerettet hatte, aber ich wusste sie nicht mehr genau, weil ich nicht erwartet hatte, dass es funktioniert. Doch zu meiner Überraschung schwang auch diese Tür nach zwei Eingaben auf. Langsam wurde ich misstrauisch, das konnte jetzt kein Zufall mehr sein. Aber als ich die Tür dann ganz aufzog, verschwanden alle Zweifel. Ich stand vor einer endlosen Wüste. Ich konnte nicht fassen, dass ich wirklich frei war. Ich machte ein paar Schritte in den Sand, trat aus dem Schatten des Felsens, aus dem ich getreten war, und war froh, dass ich meine Arbeitsschuhe trug. Es fühlte sich an, als würde ich von oben und unten gebacken werden, so stark schien die Sonne, und auch der Sand strahlte eine solche Hitze aus, dass ich sicher war, dass er fast schmolz. Nicht auszudenken, was ich barfuß erleiden müsste. Aber in meiner jetzigen Verfassung würde ich auch nicht weit kommen, das war mir bewusst, ich hatte schon drei ganze Tage nichts gegessen, und meine Wasserreserven aus den Wasserflaschen der anderen war gestern Abend aufgebraucht. Aber je länger ich wartete, desto geringer war meine Chance. Also stapfte ich weiter, immer geradeaus. Ich stellte mir ein Lied vor, genau wie ich es immer bei der Arbeit getan hatte, nur dass ich jetzt nicht durch die Dämpfe der Säure benebelt wurde, sondern mein Gehirn unter meinen langen Haaren brutzelte. Die Sonne stand mittlerweile schon recht tief, aber ich hatte immer noch keine Anzeichen von Zivilisation gesehen. Immer weiter geradeaus, so lange konnte es doch gar nicht dauern. Bestimmt war irgendwo eine Oase oder eine Stadt, wo ich Hilfe holen konnte oder etwas trinken oder etwas essen, oder etwas anderes sehen als die endlosen Sandmengen. Hauptsache irgendwo ist Schatten. Wie lange ich noch weitersuchen musste, war mir schleierhaft, auch wie lange die Sonne noch zu sehen war, wusste ich nicht, doch sie näherte sich dem Horizont mehr und mehr an. Wenn mir nicht so warm gewesen wäre, hätte ich die Aussicht auf den Sonnenuntergang bestimmt genossen. Ich lief immer weiter geradeaus, irgendwann wusste ich nicht mehr, ob es sich überhaupt lohnen würde. Jetzt war es sehr schnell sehr kalt geworden, am Anfang hatte ich es noch genießen können, aber jetzt zitterte ich am ganzen Körper. Ich hatte nicht genug Stoff, um mich zu schützen und zitterte vor mich hin, während ich versuchte, weiter geradeaus zu laufen. Vielleicht wäre es sinnvoller zu schlafen, aber wer weiß, was passierte, während ich Reserven verschwendete, die ich für den Weg benötigte. Also schleppte ich mich weiter. Doch meine Zuversicht schwand mit jedem Schritt. Ich hätte mir fast erlaubt zu weinen, aber ich konnte kein Wasser verschwenden, dass ich noch dringend benötigen würde. Ich musste mir klarmachen, dass ich so oder so gestorben wäre, in der Mine hätten sie mich genauso verhungern lassen, wie ich es hier tue, nur dass es draußen schneller ging, wofür ich dankbar sein müsste. Ich entschied mich nun doch dafür, eine kurze Pause zu machen und setzte mich auf den Sand, der mittlerweile kalt geworden war. Ich hatte mich hingelegt, doch einschlafen konnte ich trotz meiner großen Müdigkeit nicht, dafür war ich zu aufgedreht. Ich betrachtete die Sterne und freute mich, dass ich sie vor meinem Tod noch einmal sehen durfte. Gleichzeitig fiel mir ein, wie vielen dieses Glück verwehrt worden war, so viele waren in der Mine gestorben. Und die meisten von ihnen dachten, dass ich einer der Bösen war. Dabei hatte ich mich lediglich besser anpassen können. Ich richtete mich auf, als mir bewusst wurde, dass ich eine Verantwortung trug. Ich musste dafür sorgen, dass alle ihre Tode gerächt würden. Ich musste auf uns aufmerksam machen. Und dafür musste ich durchhalten, egal was geschah. Ich rappelte mich wieder auf, ich musste weiter. Ich war desorientiert, mir wurde schwarz vor den Augen durch die abrupte Bewegung. Ich wusste nicht mehr, in welche Richtung ich weitermusste. Ich versuchte meine Fußspuren zu erkennen, aber es war zu dunkel dafür. Wenn ich in eine willkürliche Richtung lief, war die Gefahr groß, dass ich wieder zurücklaufen würde. Warum hatte ich mir nicht eingeprägt, wie die Sterne gestanden hatten, als ich noch gelaufen war. Wie dumm von mir. Mutlos setzte ich mich wieder hin. So wollte ich nicht zugrunde gehen, ich musste es einfach versuchen. Also lief ich in eine Richtung, die mir sinnvoll erschien. Als die Sonne aufging, spürte ich meine Füße nicht mehr. Ich biss immer wieder auf Sandkörner, die ihren Weg in meinen Mund gefunden hatten. Meine Augen waren verklebt. Ich sah in der Ferne eine Silhouette, die sich eindeutig von den Dünen unterschied, die der Sand formte. Ich hatte schon wieder Glück gehabt. Erschöpft setzte ich einen Fuß vor den anderen, aber ich kam nicht näher. Immer weiter. Immer. Weiter. Als ich dann hinfiel, hatte ich nicht mehr die Kraft, mich abzufangen. Ein einziger Gedanke hielt mich davon ab, für immer aufzugeben, und ich schlug ein letztes Mal die Augen auf, um eine Unterlage zu finden, auf der ich schreiben konnte. Als ich nichts als Sand fand, zog ich mir schlussendlich meine Jacke aus. Mit dem Reißverschluss ritzte ich mir meinen linken Arm auf, um einige letzte Informationen loszuwerden. Ich fing an mit meinem Blut zu schreiben, den Schmerz versuchte ich auszublenden. Mine. 2 Tage. >200 tot. Mathias Hondt. Entschuld

Einseitige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt