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Mein Herr war schrecklich. Er misshandelte mich, er vergewaltigte mich jeden einzelnen Tag, schlug mich bis ich aufstand und ließ seine Wut an mir aus. Er war oft wütend. Er hatte Kinder in meinem Alter, er hielt sie dazu an, auch ihre Wut an mit auszulassen. Er trichterte ihnen ein, dass ich nichts wert sei und sie glaubten ihm. Ich auch, mehr und mehr. Wenn ich irgendwem etwas wert wäre, würde er mich hier herausholen. Mir selbst war ich auch nichts wert. Ich wäre mich gern losgeworden, aber ich hatte nichts, womit ich meinem Leid ein Ende setzten könnte. Ich machte mir auch Vorwürfe, dass ich nicht besser aufgepasst hatte. Ich hätte nicht diese dumme Abkürzung nehmen sollen, die durch den Wald führte. Ich hätte mit meiner Freundin fahren sollen, ich hätte mich nicht mit ihr streiten sollen. Immer wenn ich so dachte, versuchte ich mir einzureden, dass es nicht meine Schuld war, dass ich nichts für meine Lage konnte. Aber wenn ich nur woanders lang gefahren wäre... Mit der Zeit hatte ich aufgegeben immer über meine Schuld nachzudenken und war in ein stumpfes Vegetieren verfallen. Ich saß und wartete auf meinen Tod. Das Hundefutter, was sie mir hinstellten, kippte ich in einen Blumentopf, der zu schwer war, als dass ich ihr bewegen und mein Leben damit beenden könnte. Er bemerkte es nicht, aber als ich immer schwächer wurde, wurde sein Sohn darauf aufmerksam. Er kam mit einem wutentbrannten Gesicht in den Raum, um mich zu verprügeln. Ich hatte den Kopf gehoben und sah meinem Schicksal entgegen, aber der Junge stoppte plötzlich. Er fragte mich, ob ich genug essen würde, doch ich antwortete nicht. Er drehte sich um und verließ den Raum. Ich weiß nicht, wie lange er weg war, ich hatte aufgehört mich um die Zeit zu scheren. Als er dann wiederkam, hatte er einen Teller dampfender Spaghetti in der Hand. Er stellt ihn zu mir und befahl, ihn aufzuessen. Ich reagierte nicht. Nachdem er mich geschlagen hatte und seinen Befehl noch einmal in mein Ohr geschrien hatte, nickte ich leicht und er verließ den Raum. Ich versuchte mich zu beherrschen und mich nicht vom köstlichen Duft verführen zu lassen. Ich schaffte es, sie ein wenig abkühlen zu lassen und dann in den Blumentopf zu werfen und ein wenig umzugraben, sodass man sie nicht sah. Dann setzte ich mich wieder hin und wartete. Der Junge kam wieder, schon wieder mit einem Teller dampfender Spaghetti in der Hand. Er meinte, er hätte mich beobachtet, und ich sollte jetzt endlich etwas essen. Ich weigerte mich. Sie konnten mir nichts mehr tun. Mein gesamter Körper schmerzte und ich wollte meinen Tod erreichen. Ich gab mir die Schuld an meiner Lage. Es konnte nicht schlimmer werden. Er setzte sich mir gegenüber und wartete auch. Ich beobachtete die Spaghetti, den immer weniger werdenden und schwieriger zu erkennenden Dampf, den sie verströmten. Irgendwann fing der Junge an, mir zu erzählen, was ihn wütend gemacht hatte, aber ich hörte ihm nicht zu. Ich lauschte nicht seinen Worten, aber seiner Stimme. Ich verlor mich in ihr und schreckte auf, als sie in einer Frage verklang. Ich reagierte nicht, wartete, dass er sie erneut stellte. Er fragte mich nach meinem Namen. Ich zuckte die Schultern und verzog schmerzverzerrt das Gesicht. Meinen Namen würde ich für mich behalten, da konnte er mich sooft schlagen wie er wollte. Ich könne meinen Namen doch nicht vergessen haben, ich ignorierte ihn. Ich müsse jetzt endlich essen. Ich solle dies, ich könne doch nicht das. Ich schaltete ab. Er erhob sich. Ich rührte mich nicht. Er verließ den Raum, ich überlegte, was ich mit den Spaghetti anstellen sollte. Essen? Ich wollte doch verhungern. Wegkippen? Der Junge hatte hartnäckig ausgesehen, er würde dafür sorgen, dass ich etwas aß. Also ließ ich sie einfach stehen. Ich zuckte zusammen, als die Tür sich schon wieder öffnete. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Junge schon so bald wiederkäme. Er war es auch nicht, es war sein Vater. Er hatte vor, mich zu vergewaltigen, das sah ich ihm an. Er sah gestresst aus und wollte entspannen, was ihm seiner Meinung nach am besten bei mir gelang. Das hatte er mir erzählt, am Anfang, als ich noch zugehört hatte. Ich ließ ihn über mich ergehen. Es war wie immer schrecklich, aber ich hatte mich daran gewöhnt. Heute fixierte sich mein Blick auf die Tür, ich betrachtete ihr Muster, den Griff und das Schloss. Auf einmal bewegte sie sich. Mein Herr war zu sehr beschäftigt, als dass er es bemerken würde. Sein Sohn wollte hereinkommen, doch als er uns sah, wurde er bleich und ging so leise wie möglich wieder aus dem Zimmer. Als mein Herr fertig war, zog er sich wieder an und deutete auf einen Stapel Anziehsachen, die er in die Ecke gelegt hatte. Mit dieser stummen Geste verließ er den Raum. Ich begann zu weinen, als ich mir meine Klamotten auszog, die er gerade zerrissen hatte. Der schwarze Pullover saß gut, genau wie die dunkelgraue Jogginghose. Meine Tage hatte ich seit meiner Entführung nicht mehr, entweder war ich direkt schwanger geworden oder man hatte mich unfruchtbar gemacht. Zweiteres war mir deutlich lieber und auch wahrscheinlicher, da ich schon lange weg war und ein Kind sich bemerkbar gemacht hätte. Ich setzte mich in die Ecke, die am weitesten von der Tür entfernt war, was auch nur ungefähr drei Meter waren. Ich wartete darauf, dass das Licht ausging und ich schlafen konnte. Ich wartete auf meinen Tod, hoffte, dass er diese Nacht kommen würde. Da richtete ich mich auf, mir war ein völlig neuer Gedanke gekommen, wenn ich starb, würde mein Herr sich dann jemand neuen holen? Ich wäre daran schuld, dass ein weiteres Mädchen leiden müsste. Ich war es nun gewöhnt, ich hatte nichts zu verlieren. Ich konnte mich mit meiner Lage arrangieren, ich wäre dem Tod wahrscheinlich auch nicht willkommen gewesen. Ich musste etwas essen, etwas trinken, ich musste leben, damit niemand anderes leiden musste. Ich sah zu den Spaghetti, krabbelte zu ihnen herüber und fing an sie zu essen. Langsam, ganz langsam, ich wusste, dass man nicht zu schnell essen sollte, wenn man lange gehungert hatte, und ich hatte schon lange nichts gegessen. Die Spaghetti waren nicht besonders lecker, aber essbar. Mein Magen knurrte dankbar und ich musste lächeln. Er hatte sich tatsächlich dankbar angehört. Dann fing ich an zu weinen. Das erste Mal seit ewigen Zeiten, dass ich lächelte, und dann war der Grund mein Bauch. Was war das für eine Welt, in der so etwas zugelassen wurde. Wie hatte ich es soweit kommen lassen. Ich musste Zuversicht fassen, diese Menschen aushalten und überleben, allein um meine Nachfolgerin nicht zu meiner Nachfolgerin werden zu lassen.

Einseitige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt