15 Patrick, Das Problem

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Geschichte. Frau Knoop gestaltete den Unterricht interessant. Mir machte es Spaß und die Zeit verflog. In Englisch musste Michael einen Vortrag halten. Eigentlich mit Maurice zusammen. Da dieser aber Krank war, wurde er dazu gezwungen, alles allein vorzutragen.
Er kassierte eine solide zwei Minus. Maurice müsste, wenn er wieder da war, einen kleinen Test schreiben, um die Note einzubringen. Natürlich schrieb Micha ihm das sofort. Heimlich, unter dem Tisch. Denn Handys wurden sofort eingesammelt, wenn man dran erwischt wurde.

In Physik wurde uns gesagt, dass wir in der nächsten Stunde eine Arbeit schreiben würden. Eigentlich verdrehte jeder in der Klasse die Augen, außer Michael. Anni, eine Mitschülerin, hatte laut "warum?" gejammert. Herr Friesecke selbst konnte sich kein Lachen verkneifen.

Vor der Mathestunde ließen wir uns im Flur nieder. Manuel hatte sich, im Schneidersitz, mir gegenüber gesetzt. In der Hand hielt er ein Mettbrötchen, welches er sich am Kiosk geholt hatte. "Das stinkt voll", sagte Micha mit verzogenen Gesicht. Dabei hielt er sich die Nase zu. Manuel sah ihn an und hauchte dann in seine Richtung. "Aber es ist lecker." Ich grinste zwischen den beiden hin und her. Noch war die Laune gut. Denn gleich war Mathe und dann war der Tag für uns drei gelaufen.

Heute hatte aber jeder von uns das Buch mit. Ich wurde zum Glück nicht aufgeschrieben. Denn schließlich konnte ich nichts für die Lieferzeit von einer Woche. Hannah, ein rothaariges Mädchen aus unserer Klasse, hatte ihr Buch jedoch vergessen. Es war ihr dritter Strich. Noch heute musste sie nachsitzen. Das fand jeder unfair, bis auf Frau Graz.

Nach Mathe, verließen wir erschöpft und gerädert das Schulgebäude. "Irgendwann erhänge ich mich", seufzte Manuel. "Dann bring ich dich um", gab Micha trocken zurück. "Toll. Manu tot. Micha im Gefängnis. Dann sind Maurice und ich allein." Ich verschränkte die Arme. Manuel blieb grinsend stehen. Und auch Micha machte halt. "Wäre das so schlimm?", fragte Manuel dann schließlich. Er griff sich an die Träger seines schwarzen Rucksacks. "Ich find schon, dass es im Gefängnis schlimm ist." Michael grinste frech. Manuels Lippen zogen sich gerade. "Mein Tod nicht?" Dann pikste Michael Manuel in die Seite. Dieser wich zuckend und kichernd aus. "Natürlich, du Idiot."

Wir gingen weiter, nachdem die Beiden sich beruhigt hatten. Manuel links von mir, Michael rechts. Immer wieder bemerkte ich, wie Manuels Hand gegen meine stieß. "Denkst du Maurice kommt morgen wieder?", fragte ich an Michael gewandt. Er zuckte mit den Achseln. "Eher nicht, denke ich." Manuel schnaufte. "Das ist doof." "Aber er soll lieber wieder gesund zur Schule kommen, als unter Schmerzen. Bringt doch nichts", wandte ich ein. Die Beiden nickten.

Wir kamen an der Biegung an, die meinen Weg, mit den von Manuel und Michael, trennten. Ich gab Michael die Hand und umarmte Manuel, zum heutigen Abschied. "Dann bis morgen", sagte ich und entfernte mich langsam, mit rückwärts Schritten, von ihnen. "Viel Spaß mit Papi!", rief Michael mir hinterher. Manuel schaute mir nur mit zusammen geschobenen Augenbrauen nach. Er sah traurig aus. Doch ich drehte mich um und ging nach Hause. Ich wollte mir darüber, über sein Verhalten, nicht den Kopf zerbrechen.

Zu Hause angekommen, zog ich mich aus, ging in die Küche und schnappte mir eine Colaflasche aus der Kiste. Als ich mir ein Glas aus dem Schrank nahm, fiel mir ein Zettel auf, der auf der Theke lag.

Bin kurz bei der Nachbarin
Liebe Grüße, Papa

Ich verzog die Mundwinkel. Ich wollte gar nicht wissen, was mein Vater bei der Nachbarin machte. Schließlich wusste ich auch nicht, bei welcher er war. Ob bei der alten Dame im Erdgeschoss oder der in seinem Alter mit ihren zwei dicken, grunzenden Bulldoggen.

Ich ging in mein Zimmer und setzte mich an meine Fensterbank. Irgendwie war es hier gar nicht so schlimm, wie ich es noch vor einen Monat gedacht habe. Furchtbare Angst hatte in meinen Gliedern gesteckt. Seit dem Tag, an dem festgestanden hat, dass wir von Hamburg wegziehen würden.
Ich nahm mein Handy heraus. Ob ich mich mal bei meiner Mutter melden sollte? In mir kochte die Wut hoch. Sie selbst tat es doch aber auch nicht. Kein einziges Mal, seitdem wir hier wohnten. Keine Nachricht, kein Anruf. Als Bestände kein Interesse mehr an mich, ihrem einzigen Kind. Als wäre sie ein Problem los geworden, um das sie sich jetzt nicht mehr kümmern brauchte.

Sou wieder Sonntag und ein neues Kapitel

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