chapter 4

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𝑬𝒊𝒏 letztes Mal sah ich zu der leeren Parklücke vor mir, ehe ich Reece geschlagen hinterher joggte und dabei wieder mein Ego zertrampelte. Dieser bemerke mich erst, als ich direkt vor seinem Auto stehen blieb. Ohne mir sein spitzbübisches Grinsen auch nur eine Sekunde länger zu geben, stieg ich einfach zur Beifahrertür ein. ❝ Sag am Besten einfach gar nichts ❝

Ich ließ mich erschöpft in den Ledersitz fallen und sank regelrecht in diesem ein. Als dann der Motor startete und das Auto langsam zu rollen begann, konnte ich mich das erste mal heute kurz entspannen und beruhigen. Die anhaltende Stille erweckte ein bekanntes Gefühl in mir, denn es erinnerte mich an jene Nacht. Sie war nicht erdrückend oder unangenehm, sondern hinterließ wieder diese Wärme in meinem Bauch. Ich fühlte mich irgendwie wohl, auch wenn ich eben noch ziemlich aufgebracht und genervt war, konnte ich hier irgendwie runterkommen.

❝ Wo wohnst du eigentlich? ❝
Reece Stimme drang erst einige Sekunden später zu mir durch, so dass ich erst gar nicht wusste, wieso er mich fragend ansah. Ich nannte ihm meine Adresse und er drehte seinen Kopf wieder aufmerksam in Richtung Straße, doch ich konnte meinen Blick noch nicht ganz losreißen und betrachtete ihn stattdessen aus dem Augenwinkel.

Seine großen Hände umgriffen das Lenkrad so fest, dass bereits dicke blaue Adern aufquollen und irgendwie ... faszinierten sie mich. Klang das verrückt? Vermutlich schon. Es war nur ...  sie sahen so gepflegt aus. Und wie oft kam dass schon bei Jungs vor, dass sie schöne Hände besaßen? Wohl eher selten. Aber zurück zum Thema.

Ich guckte weiter und mein Blick fuhr über seine kräftigen Arme und blieb an seinem Seitenprofil hängen,dass ausnahmsweise mal nicht zur Hälfte durch eine Kapuze verdeckt wurde. Es war erstaunlich, dass es ohne jeden Zweifel irgendwie perfekt war. Die Nase, die geschwungenen Lippen, einfach alles. Fast schon unfair, dass mich so jemand mit seinem Auto herum kutschierte.

Ich musste lächeln.

Genau in diesem Moment sah Reece wieder zu mir. Mein leichtes Lächeln verschwand als ich ihm das erste Mal heute direkt in die Augen blickte. Und auch wenn es nur wenige Sekunden waren, fühlte es sich an wie eine halbe Ewigkeit. Eine halbe Ewigkeit, in der ich in dieses tiefe Braun starrte, das mich kurz wieder vergessen ließ, wo ich eigentlich war. Das meine lautstarken Gedanken in den Hintergrund drängte und mich nur auf diesen Moment konzentrieren ließ. Der Moment, in dem ich die Augen eines Junges betrachtete, als wären sie die schönsten, die ich jemals gesehen hätte.

❝ Alles okay? ❝
Im nächsten Moment vernahm ich Reece' besorgte Stimme. Erschrocken fuhr ich hoch und löste meinen Blick von ihm, hoffend, dass ich ihn jetzt nicht wirklich durchgehend angestarrt hatte. Das hast du aber, und gesabbert wahrscheinlich auch noch.

❝ Du wirkst so nachdenklich ❝
Ich schluckte. Das ich die ganze Zeit an seinen Augen klebte konnte ich ja schlecht, ohne dass es komisch rüberkam, offenbaren. Also sagte ich einfach das, was mir als erstes in den Kopf schoss.

❝ Ich hatte einen beschissenen Tag ❝, meinte ich schließlich, was nicht einmal gelogen war. Wenn ich daran dachte, meinen Eltern heute noch sagen zu müssen, dass ich die Geschichtsarbeit vermasselt hatte, wurde mir ganz flau im Magen. Aber es war noch nicht soweit, also schob ich diesen Gedanken so weit nach hinten wie nur möglich.

Reece begann amüsiert zu grinsen. Verwundert, aber dennoch leicht schmunzelnd, warf ich ihm einen fragenden Blick zu.

❝ Meinst du das in Bio? ❝

Ich schluckte, als er das Fach erwähnte und mir wurde sofort wieder heiß als ich an die Peinlichkeit zurück dachte.

❝ He, das muss dir doch nicht peinlich sein ❝, besänftigte er mich und sah einen Moment lang zu mir. Meinen Blick wieder auf ihn richtend, hörte ich ihm aufmerksam zu.

❝ Dinge passieren und Dinge vergehen. Man ist meistens nur selber derjenige, der einen am meisten daran zurück erinnert. Aber ich kann dir versichern, dass du schon bald darüber lachen kannst ❝

Er beendete seine aufmunternden Rede durch ein sanftes Lächeln, ehe er seinen Kopf wieder nach vorne drehte. Unwillkürlich schoss mir Wärme in die Wangen, aber keinesfalls aus Scham oder ähnlichem, nein. Seine Worte waren genau das, was ich jetzt brauchte. Was ich hören musste. Und es fühlte sich irgendwie gut an, das sie von ihm kamen.

❝ Wir sind da ❝, brachte mich Reece wieder in die Realität. Ich sah nach rechts und da befand sich tatsächlich unser Haus. Ich nahm also meinen Rucksack und stieg zur Tür aus, doch bevor ich sie ganz zu machte, lugte ich ein letztes Mal hinein.

Danke, Reece ❝, betonte ich. Sofort hoben sich seine Mundwinkel und ich konnte mir bereits denken, was dieses kleine Wörtchen an Bestätigung für ihn war, schließlich wäre ich ohne ihn nicht so einfach nach Hause gekommen.

❝ Kein Ding ❝

Dann schloss ich die Autotür und er fuhr weiter. Kurz stand ich einfach nur da, am Bürgersteig, mir klarmachend, dass ich gerade tatsächlich von Reece Miller gefahren worden war. Dabei schlich sich auch ein leichtes Lächeln auf meine Lippen, doch sobald ich mich umdrehte und zu unserer Haustür lief, kam ich wieder auf dem Boden der Tatsachen an.

❝ Bin zu Hause ❝, rief ich und streifte mir meine Sachen ab. Dann wollte ich zu den Treppen gehen, doch wurde, wie schon mal, an der Küche von meiner Mutter abgefangen. In der befand sich auch Pru auf einem der Barhocker, die mich ziemlich gleichgültig ansah.

❝ Du hast immer noch Hausarrest, junge Dame. Das heißt, dass du sofort nach der Schule nach Hause kommst und nicht wie jetzt, erst zwanzig Minuten später! ❝

Ich wollte genervt ausatmen, doch konnte mich noch im letzten Moment beherrschen und neutral reagieren. ❝ Ich hab auf Missy gewartet, aber die kam nicht. Dann musste ich mir eine andere Mitfahrgelegenheit suchen, deswegen bin ich erst jetzt hier ❝

❝ Nächstes Mal fragst du deine Schwester ❝
Pru und ich sahen uns im selben Moment an und schüttelten beide angewidert den Kopf, was meine Mum nicht sehen konnte, da sie mit dem Rücken zu uns stand. Wenigstens waren sie und ich uns einmal einig.

❝ Ja mach ich ❝, log ich und wollte mich gerade aus dem Staub machen, da kam schon ihre nächste Frage. ❝ Und sonst, irgendwelche Noten? ❝ Scheiße. Dabei hatte ich es gerade so schön verdrängt. Leider kam ich so oder so nicht drum herum, also offenbarte ich es einfach kurz und schmerzlos.

❝ Hab ein F in Geschichte geschrieben ❝
Sie stellte das Geschirr lautstark neben dem Waschbecken ab und drehte sich zu mir. Was genau alles in ihrer Moralpredigt vorkam erspare ich euch lieber, da sie mir hauptsächlich Vorwürfe machte und mich, wie immer, mit meiner Schwester verglich. Die hatte dem Anschein nach auf ihre neuste Hausarbeit die Bestnote von ihrem Professor bekommen, vielleicht war auch das der Grund, warum sie die ganze Zeit grinsend vor ihrem aufgeschlagenen Laptop saß. Ich fragte mich echt, wann sie endlich wieder zurück an die Uni verschwand und endlich damit aufhöre, hier rumzulungern. 

Als ich dann endlich erlöst war, trottete ich erschöpft in mein Zimmer und gleich darauf ins Badezimmer, wo ich mir erstmal eine warme Dusche gönnte, um den ganzen Dreck von heute abzuwaschen. Und es scheint wirklich, als würde das heiße Wasser beim ersten Kontakt mit meiner nackten Haut, bereits Wunder bewirken. Ich schloss meine Augen und genoss den Moment, als mir unwillkürlich Reece und die Autofahrt in den Kopf schoss. Wie konnte es sein, dass ich mich in der Gegenwart einer Person, die ich doch kaum kannte, so unbeschwert gefühlt hatte?

ᴇᴜᴘʜᴏʀɪᴀWo Geschichten leben. Entdecke jetzt