chapter 10

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❝ 𝐼𝑠𝑠𝑡 du eigentlich in Zeitlupe oder was? Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit und schon gar nicht für dich ❝, kommentierte meine Schwester mein Essverhalten an jenem Dienstagmorgen pampig, während ich den letzten Löffel Müsli in meinem Mund schob.

❝ Bitte freu dich doch nicht zu sehr darauf, deine kleine Schwester einmal zur Schule fahren zu müssen ❝, antwortete ich sarkastisch und stellte meine Schüssel im Waschbecken ab.

Sie murmelte noch irgendetwas vor sich hin, vermutlich eine Beleidigung, dann ging sie schon mal aus dem Haus.

Seufzend verfluchte ich es innerlich, dass meine Eltern heute schon beide früh weg mussten, so dass mir Pru bereits jetzt, um acht Uhr morgens, tierisch auf die Nerven gehen konnte und ihr dabei keine Grenzen gesetzt waren, denn es war ja niemand außer uns beiden und Charlie zu Hause. Dennoch musste ich mal wieder Selbstbeherrschung beweisen, schließlich brauchte ich diese Nervensäge, damit ich irgendwie zur Schule kam.

Missy kam dafür heute nicht in Frage, denn sie hatte mir gestern Abend noch geschrieben, dass sie mich heute nicht abholen konnte. Ich fragte zwar wieso, doch sie antwortete nicht mehr, sodass ich einfach darauf schloss, dass sie heute bei Regina und den anderen mitfuhr. Tja und folglich musste ich mir eine andere Mitfahrgelegenheit suchen und da war sie — 1,75m groß, braunhaarig und mit mir blutsverwandt. Leider.

Ich zog mir in Windeseile eine karierte Jacke über das schlichte, weiße Top und entschied mich an diesem Morgen für passend weiße Sneaker. Meinen Rucksack schulternd wollte ich gerade das Haus verlassen, als ich hinter mir ein leises Wimmern wahrnahm. Es war Charlie, die wohl nun auch begriffen hatte, dass sie die nächsten Stunden alleine mit der Person, die sie am wenigsten leiden konnte, verbringen musste.

Mitfühlend kraulte ich der Hündin ein letztes Mal ihr Köpfchen, ehe ich ihr einen leichten Kuss auf diesem hinterließ und wir zur Schule fuhren.

Es war eine kurze, schweigsame Autofahrt. Wir redeten kein Wort miteinander. Einerseits war ich darüber dankbar, denn dass Prudence mal ihre Klappe halten konnte, war schon ein ziemliches Wunder. Andererseits aber war die Stimmung die ganze Zeit über so angespannt, dass ich mir schon fast unwohl neben meiner eigenen Schwester vorkam. Den Blick starr aus dem Fenster richtend, beobachtete ich wie immer die vorbeiziehende Umgebung.

❝ Wir sind da ❝, meinte sie und hielt direkt vor der Schule an. Müde schulterte ich meinen Rucksack erneut, verabschiedete mich von ihr und verließ den Wagen. Danach setzte ich seufzend mein übliches Pokerface auf und machte mich auf den Weg in das Schulgebäude, wo ich die nächsten Stunden wie eine wandelnde Leiche verbringen würde.

Liebe ❝, setzte die junge Frau theatralisch an und legte eine lange Redepause ein, ❝ was ist das überhaupt? ❝ Die stechend blauen Augen schweiften wissbegierig über unsere Köpfe und suchten nach einem sich am Unterricht beteiligten Schüler, vergebens. Ihre Schulter sanken frustriert, doch sie schien nicht lockerlassen zu wollen.

❝ Oder ich frage anders ... Liebe ist ein sehr, nennen wir es mal großes Wort, über das auch beispielsweise viele berühmte Dichter und Philosophen gesprochen haben. Aber was bedeutet es konkret für euch? ❝

Immer noch keine Meldungen. Ich musste zugeben, dass mir unsere Literaturlehrerin gewissermaßen leid tat. Nicht nur, weil sie relativ neu an dieser Schule war und sich somit wahrscheinlich noch nicht wirklich eingelebt hatte, auch, weil sie eine sehr nette und motivierte Person zu sein schien, die als Gegenreaktion auf ihre Vorbereitungen für den Unterricht einen Haufen uninteressierter, gelangweilter pubertierender Teenager bekam. Und ich war einer von denen.

ᴇᴜᴘʜᴏʀɪᴀWo Geschichten leben. Entdecke jetzt