Rom

35 9 2
                                    

Am Nachmittag tauchen endlich die ersten Häuser der einstigen Hauptstadt des Imperium Romanums auf und wir stellen das Auto auf einem öffentlichen Parkplatz am Stadtrand ab. Ich klettere aus dem Auto und strecke mich. Die Sonne scheint angenehm warm auf meine Haut und ein erfrischender Wind streicht mir durch die Haare. Wir wechseln unsere Jogging-Hosen gegen Shorts und schlendern Richtung Innenstadt.

"Also ich brauche jetzt erstmal ein Eis", sagt Lizzy. Wie suchen uns die erstbeste Eisdiele und schlendern mit dem Eis in der Hand über den Petersplatz. An einem Brunnen bleiben wir stehen und lassen uns auf dessen Rand nieder. Während Lizzy fröhlich darauf los plappert, werde ich still, meine Gedanken schweifen immer wieder zu Justin.

Als seine Schwester die Papierservietten in den Müll schmeißen geht, lehnt sich Luis zu mir: "Ist alles in Ordnung? Ich habe das Gefühl, dich bedrückt etwas. Ist es wegen Justin?" Ich nicke. Er streichelt mir aufmunternd den Rücken. Lizzy kommt wieder und er weicht aprupt von mir weg. Seltsam. Ich stehe vom Brunnenrand auf. "Also ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber ich habe Hunger. Wir hatten schließlich kein Mittagessen und es ist schon später Nachmittag."

"Du hast Recht", stimmt mir Lizzy zu. "Lasst uns eine Pizzeria suchen."

Zwei Stunden später spazieren wir mit vollen Bäuchen zum Auto zurück. Die Hotels in Rom sind aufgrund der Hauptsaison alle ausgebucht und wir haben spontan keine Übernachtungsmöglichkeit mehr gefunden. Also klappen wir die Sitze um und machen uns fertig, um im Auto zu schlafen. Mich von Gedanke zu Gedanke hangelnd lausche ich dem ruhigen Atem des Geschwisterpaares und falle endlich in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen wache ich als erste auf. Ich setze mich auf und blicke aus dem Fenster. Die Sonne macht es meiner guten Laune gleich und strahlt trotz der frühen Stunde schon mit aller Kraft. Ich schaue vorsichtig bei Lizzy und Luis nach, aber beide schlafen noch. Ich beschließe mir ein bisschen die Beine zu vertreten und verlasse so leise wie möglich das Auto. Als ich ein wenig später zurück zum Auto kehre, sehe ich schon von Weitem, dass das Geschwisterpaar heftig am diskutieren ist. Eigentlich halte ich nichts von Lauschen, aber ich habe so ein Gefühl, dass es etwas wichtiges ist, also bleibe ich hinter einem Lkw in der Nähe stehen. Der Wind trägt nur ein paar Satzfetzen zu mir.

"Es ist deine Chance, darauf hast du schon so lange gewartet" - "Sie hat sich aber schon so darauf gefreut" - "Es könnte dein Sprungbrett zum Erfolg werden" - "Ich kann sie aber nicht im Stich lassen"

Ich mache mich bemerkbar und gehe auf sie zu. "Was ist los, gibt es ein Problem?", frage ich. Die beiden sehen mich betreten an. "Hey, kommt schon, ich will auch wissen, über was ihr so heftig diskutiert."

Lizzy ergreift das Wort: "Mein Handballtrainer hat gerade angerufen. Ein Profi-Verein ist an ein paar Mädels aus meinem Team interessiert und ich bin eine davon. Sie veranstalten ein Sichtungstraining, bei dem sich entscheidet, ob man zu ihnen ins Team darf."

"Wo ist das Problem?" Verwirrt blicke ich die beiden an. "Sie haben diese Saison viele Ausfälle, deswegen brauchen sie so schnell wie möglich Ersatz. Das Sichtungstraining ist morgen und falls man genommen wird, fährt man gleich darauf mit ihnen ins Trainingslager nach Südtirol." Sie sieht mich todtraurig an.

Ich schlucke schwer, versuche mir die Entäuschung aber nicht anmerken zu lassen. "Das ist doch eigentlich eine gute Neuigkeit für dich. Das mit dem Urlaub können wir ja mal nachholen." Da keiner eine bessere Idee hat, packen wir unsere Sachen ins Auto und machen uns fertig für die Heimreise. Ich entschuldige mich bei den zwei Geschwistern und verschwinde auf einen kurzen Spaziergang um den Parkplatz, um ein bisschen meine Gedanken zu sortieren und um vor ihnen zu verbergen, wie enttäuscht ich wirklich bin.

Ich fühle mich schrecklich, weil ich mich eigentlich für Lizzy freuen sollte, aber irgendwie kann ich das nicht. Die Reise hat noch nicht einmal richtig angefangen und schon müssen wir wieder abreisen.

Es klingt vielleicht kindisch, aber mit diesem Urlaub wollte ich alles blöde, was mir in lezter Zeit so passiert ist, hinter mir lassen. Ich merke, das ich stehen geblieben bin und dass mir langsam anfangen die Tränen die Wangen runter zu laufen. Ich zwinge mich sie weg zu blinzeln. Ich habe die letzten Wochen schon genug geweint. Im Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr und drehe mich zur Seite.

Doch dort steht jedoch nicht wie erwartet Lizzy, sondern ihr Bruder Luis. "Tut mir leid, dass ich jetzt so ein Drama mache, aber ich hatte es in letzter Zeit echt nicht einfach und..." Auf einmal sprudelt alles aus mir heraus. Luis blickt mich traurig an und antwortet: "Es tut mir leid, dass ich mich seit Anfang des Jahres so zurückgezogen habe und wir seitdem fast nicht mehr geredet haben, aber nicht nur du hattest in letzter Zeit Probleme." Plötzlich hellt sich sein Gesicht auf. "Hey, Lizzy kann doch mit dem Zug nach Hause fahren und - falls sie nicht genommen wird - wieder dazu stoßen. Und wir warten einfach bis dahin in Rom und reisen dann gegebenenfalls weiter.

Ich weiß nicht, was ich von der Idee halten soll, doch als ich in Luis erwartungsvolles Gesicht blicke, muss ich einfach bejahen. "Prima", sagt er, "dann lass uns mal zu Lizzy zurück gehen."


Liebe im GepäckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt