Die Notaufnahme ist leer. Ein junger Mann sitzt hinter einem Tresen und ist in eine Zeitung versunken. Als wir uns ihm nähern blickt er auf. „Kann ich euch helfen?", fragt er uns. Ich erzähle ihm, was passiert ist und Luis füllt zwei Formulare aus. Der Mann führt uns in ein kleines Behandlungszimmer. Er versichert uns, dass gleich ein Arzt kommt. Dann geht er und Luis und ich sind wieder allein. Besorgt mustere ich sein Gesicht. „Luis, warum soll ich nicht deine Familie anrufen?" Er schaut mich müde an. „Ich bin 18 und möchte nicht immer von ihnen wie ein kleines Kind behandelt werden. Verstehst du?" „Aber wann denn? Wann wirst du von ihnen wie ein kleines Kind behandelt?" Doch ich erfahre die Antwort nicht, denn eine Ärztin betritt das Zimmer. Während sie seine Mundhöhle, seine Augen und Ohren untersucht, Puls und Fieber misst, fragt sie uns, was passiert sei. Als Luis keinen Spatel mehr im Mund hat, erklärt er ihr: Ja, er habe nach der Autofahrt genügend getrunken; Nein, er habe es nicht drinnen behalten. Die Ärztin nickt. „Gut, irgendwelche Vorerkrankungen? Krankheiten in der Familie? Irgendwelche OPs in letzter Zeit?" „Nein", antwortet er. „Keine Vor- oder Erbkrankheiten." Er schluckt und sieht zu mir, dann antwortet er. „Im Dezember eine traumabedingte Operation an der Columna vertebralis." Ich sehe Luis fragend an. Ich weiß nichts von einer Operation. Warum hat er mir nichts davon erzählt. Oder Lizzy? Sie erzählt mir doch eigentlich immer alles. Die Ärztin will von Luis noch mehr Informationen. Ich versuche etwas aus seinen Antworten zu erfahren, aber er redet – vielleicht mit Absicht – nur in Fachbegriffen. Als er die Narbe zeigen soll, sieht er mich direkt an. Ich höre in meinem Inneren, was er will. Besser gesagt, was er nicht will. Mich im Raum. Ich weiß, er würde es nicht über sich bringen, mich aus dem Raum zu schicken. Aber das muss er nicht. Ich nehme ihm diese Bitte ab und stehe von meinem Stuhl auf. Ohne etwas zu sagen verlasse ich den Raum. Draußen im Gang lasse ich mich auf den Boden sinken. Ich lehne meinen Rücken gegen die Wand und ziehe meine Füße an meinen Körper. Was waren das nochmal für Fachbegriffe? Immer wieder erscheint mir sein flehender Blick vor meinem inneren Auge. Oh Luis, was ist nur mit dir los? Nach einer halben Stunde öffnet sich die Tür und die Ärztin tritt mit ihm in den Gang. Sie sieht von mir zu Luis und sagt: „Ich lasse Sie jetzt mal allein. Eine Schwester wird Ihnen ein Zimmer vorbereiten und Sie dann abholen. Wir sehen uns morgen bei der Visite, gute Nacht." Luis bedankt sich. Als sie in einen Flur um die Ecke biegt, setzt er sich neben mich. Er sieht mir nicht in die Augen, während er anfängt zu reden. „Es ist nichts Schlimmes, ich habe nur einen Sonnenstich und bin dehydriert. Sie behalten mich über Nacht zur Kontrolle hier und geben mir Flüssigkeit über eine Infusion." Ich nicke stumm. Es sind gute Nachrichten, dass weiß ich, aber meine Gedanken kreisen immer noch um die OP, die anscheinend im Dezember war. Ich beschließe ihn darauf anzusprechen, aber da betritt eine Krankenschwester den Flur und führt uns in den 1. Stock zu einem kleinen Zimmer. Während sie Luis hilft, sich ein Krankenhausnachthemd anzuziehen, hole ich mir einen Kaffee aus dem Automaten auf dem Gang vor Luis Zimmer. Ich betrete das Zimmer und setze mich auf einen Sessel neben seinem Bett. Wir hängen beide unseren Gedanken nach und ich denke schon, dass Luis eingeschlafen ist, bis ich seine Stimme in der Dunkelheit höre. „Elenor, ich weiß, dass du wissen willst, was im Winter passiert ist. Ich kann deine Neugier verstehen, aber..." Ich unterbreche ihn. „Neugier? Sag mal spinnst du?" Wütend und fassungslos knipse ich die Nachttischlampe an. „Ich mache mir seit wir in Neapel angekommen sind Sorgen um dich, weil du dich die ganze Zeit übergibst. Dann gehen wir ins Krankenhaus, wo ich erfahre, dass du irgendeine Operation hattest, von der ich weder von Lizzy noch von dir etwas erfahren habe. Du wolltest mir vor der Ärztin noch nicht einmal die Narbe zeigen, aber ich sage kein Wort und warte stattdessen darauf, dass du es mir von selbst erzählst. Und du redest von Neugier? NEUGIER? Ich bin besorgt!" Während meinem Redeschwall muss ich mich beherrschen nicht laut zu werden, schließlich sind wir in einem Krankenhaus. Luis spannt seine Hand an. Dann sieht er mir in die Augen. „Vielleicht hätte ich es dir ja erzählt, wenn du nicht immer so mit dir selbst oder Justin beschäftig gewesen wärst." „Das ist nicht fair! Du hast dich seit Anfang des Jahres nicht mehr um mich geschert. Du hast nicht auf meine Nachrichten geantwortet und hattest immer Ausreden, wenn ich mich mit dir treffen wollte! Ich dachte das läge am Abiturstress!" Er lässt traurig seinen Kopf hängen. Dann sagt er mit belegter Stimme: „Ich weiß, es tut mir leid. Ich hätte es nicht dir in die Schuhe schieben dürfen. Seit der Sache im Winter, habe ich mich von allen abgeschottet." „Aber welcher Sache denn? Was ist denn überhaupt passiert?" Luis setzt ein paarmal an zu erzählen, seine Stimme bricht aber immer wieder weg. Dann räuspert er sich heiser und beginnt zu erzählen.
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Liebe im Gepäck
RomansaElenor, die nach einer Trennung von ihrem Freund den besten Sommer ihres Lebens verbringen will. Lizzy, die ihr dabei hilft. Ein Versprechen, jedes männliche Wesen zu meiden. Als Elenor mit ihrer besten Freundin und deren Bruder Luis zu einem Roadtr...