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 Herr Grün, seines Zeichens der hässlichste Gartenzwerg, den man im Geschäft kaufen konnte, lag als trauriger Scherbenhaufen auf dem gepflasterten Weg vor Seras Haustür. Thorsten, der Freund Seras Mutter, hatte den Zwerg beim Schrottwichteln ergattert und halb aus Spaß - gegen den Protest von Seras Mutter - in den Garten gesetzt. Aus dem kleinen Scherz war Gewohnheit geworden und so hatte der ehrenwerte Herr Grün drei lange Jahre über den Garten geherrscht und Briefträger wie Besucher erschreckt, bis er letzte Nacht von Lia umgerannt worden war. So erklärte sie sich zumindest das Knirschen der Scherben, welches sie letzte Nacht an dieser Stelle vernommen hatte. Sie schauderte bei dem Gedanken daran, wie nah sie Seras Familie in ihrem Zustand gewesen war.

Sera kickte mit der Fußspitze gegen eine grüne Scherbe, ein Überrest der stattlichen Zipfelmütze des Zwerges. „Das erste Opfer deines Wolfsdaseins", scherzte sie.

„Und hoffentlich das letzte", ergänzte Lia düster.

Sera kniete sich hin und begann, die Scherben einzusammeln. „Ich glaube nicht, dass Thorsten und Mama auffallen wird, dass er fehlt, wenn wir ihn schnell wegräumen. Er war sowieso schon ganz zugewachsen."

Eine halbherzige Beerdigung eines hässlichen Gartenzwergs später hatte Lia sich von Sera verabschiedet und fuhr mit dem Rad durch die leeren Straßen. Kurz überlegte sie, nach Hause zu fahren, da ihr noch viele Stunden bis zum Abend blieben. Doch sie fühlte sich noch nicht bereit dazu, ihren Eltern vorzugaukeln, es sei alles in Ordnung. Ohne auf ihren Weg zu achten, war sie in die Straße eingebogen, wo Nathan wohnte. Lia zögerte kurz, dann stellte sie ihr Rad ab und ging, um an der dunklen Holztür ihres Freundes zu klingeln. Sein Vater öffnete die Tür und begrüßte sie freundlich.

„Hallo Lia, es tut mir Leid, aber Nathan ist nicht zu Hause. Er ist mit Freunden unterwegs, soweit ich weiß. Ich kann ihm ausrichten, dass du da warst", bot er ihr an und Lia nickte.

„Vielen Dank, Matthäus."

Nathans Vater schloss die Tür, hielt dann jedoch kurz inne. „Du siehst sehr müde aus. Lange Nacht gestern?"

Schockiert erwiderte Lia seinen Blick. Wusste er etwa von ihr? „Ich..., ich konnte nicht schlafen", stotterte sie.

„Das kommt vor", beruhigte er sie.

„Mir hilft dann immer etwas Kakao." Er zwinkerte ihr zu und verschwand im Haus. Einen Augenblick lang starrte Lia wie betäubt auf das braune Holzmuster. Hatte sie sich seit gestern so verändert, dass alle sofort wissen würden, was sie war? Wieder wirbelten die düsteren Bilder vor ihrem Auge herum, doch dann dachte sie an Sera. Nichts hatte sie davon überzeugen können, dass letzte Nacht tatsächlich so passiert war, genau wie es einem der gesunde Menschenverstand befahl. Lia atmete tief durch und ging zu ihrem Rad. Wahrscheinlich reagierte einfach gerade über. Wie sollte Matthäus überhaupt auf die Idee kommen, dass es Werwölfe tatsächlich gab?

Langsam fuhr sie in Richtung der Adresse, die Elian ihr genannt hatte. In der Blumengasse 23 stand ein kleines leicht angelaufenes Haus mit aufgemaltem Fachwerk. Sie konnte sich daran erinnern, schon öfter hier vorbeigefahren zu sein, ohne dass sie der Straße besondere Beachtung geschenkt hatte.

„Es freut mich, dass du gekommen bist", sagte eine Stimme hinter ihr, sodass sie vor Schreck einen Satz machte.

„Elian!", keuchte sie. „Was sollte das?"

Er lachte. „Verzeihung, ich wollte dich nicht erschrecken, aber du könntest etwas aufmerksamer sein. Du bist fast an mir vorbeigefahren."

„Ich war mit den Gedanken woanders", gab sie zu und wandte sich wieder dem Haus zu. „Wohnst du hier?"

Im Schatten der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt