Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mein gesamtes Frühstück völlig zerstochert hatte. Zu sehr war ich damit beschäftigt eine Antwort auf meine Frage zu finden. Was fühlte ich für Kiyan? Meine anfängliche Abneigung ihm gegenüber hatte sich nach und nach von mir geschlichen und seit gestern im Rosengarten war sie endgültig verschwunden. Dennoch überkam mich jedes mal ein Gefühl der Furcht, wenn wir zusammen waren, das aber sofort verschwand, wenn er zauberte. Er schien zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten in sich zu tragen, doch er beherrschte sie beide so perfekt, dass ich nicht herausfinden konnte, welche nun wirklich ER war. Kiyan war das Feuer, doch er war auch die Kälte. Er war der Schatten und das Licht. Er konnte wunderschön und betörend sein, aber auch grausam und beängstigend.
Mir kam etwas in den Kopf, dass er vor einiger Zeit gesagt hatte: So ist die Magie. Sie kann wunderschön sein... aber auch grässlich und widerwärtig. Genau so war es auch mit ihm selbst. Wurde sein Charakter etwa von seiner Magie bestimmt? Bisher war die Magie, die er mir gezeigt hatte, immer so wunderschön gewesen... War vielleicht die Magie diese schöne Seite an ihm und sein wahrer Charakter war grausam?
Ich seufzte tief und starrte aus dem Fenster.
"Sir, Ihr habt noch gar nichts gegessen", merkte Lynn nach einer Weile an.
Sie stand schon die gesamte Zeit über neben meinem Stuhl. Wieso verspürte ich bei ihr die selbe Furcht, die ich auch bei Kiyan empfand?
"Was denkst du, wie lange der König noch für seine Besprechung braucht?", fragte ich sie gedankenverloren, ohne meinen Blick vom Fenster zu nehmen.
"Ich weiß es nicht. Aber er freut sich bestimmt, wenn Ihr ihn mal besuchen kommt", vermutete sie und lächelte düster.
Ob das wieder eine Falle war?
"Ein wenig Abwechslung zwischen den ganzen Staatsgeschäften tut ihm sicher gut. Er überarbeitet sich immer so...", erzählte sie mit besorgter Stimme.
Ihre und Kiyans Beziehung zueinander schien von Seiten des Königs eher negativ zu sein... Wieso was sie so besorgt um ihn?
"Ich werde ein wenig spazieren gehen", teilte ich ihr mit und folgte den langen Gängen.
Ich hielt es für besser, mir erst einmal über meine Gefühle für Kiyan klar zu werden, bevor ich ihm wieder unter die Augen trat. Möglicherweise würde er mich sonst über etwas diesbezüglich fragen und ich wäre nicht im Stande zu antworten.
Grübelnd lief ich eine Ewigkeit durch die verschachtelten Gänge und hatte nach kurzer Zeit schon keine Ahnung mehr, wo ich eigentlich war. Das Schloss war wie ein Labyrinth und alle Gänge sahen identisch aus. Wie konnte sich hier nur irgendjemand zurecht finden?
Nach einer Weile landete ich im Ballsaal. So ganz alleine fühlte ich mich winzig in diesem riesigen Raum und die unzähligen Gemälde an den Wänden machten es nicht besser. Mir war, als würde jedes von ihnen mich beobachten. Den Kopfschüttelnd über diesen absurden Gedanken, näherte ich mich ihnen und beschloss nach Kiyans Gemälde zu suchen. Er würde doch sicher unter ihnen sein...
Aufmerksam ließ ich meine Augen über jedes einzelne Gemälde schweifen, bis eines von ihnen meinen Blick gefangen hielt. Das war doch... Ungläubig betrachtete ich das Gemälde eine ganze Weile lang. Hatte ich deshalb gedacht, ich hätte sie schon einmal gesehen? Aber Kiyan hatte doch gesagt es lebe niemand aus seiner Familie mehr hier! Warum hatte er gelogen? Warum hatte er mir nicht gesagt, dass die Klavierspielerin Teil der königlichen Familie war? Mein Blick fiel auf das Datum des Gemäldes und erneut stockte mir der Atem. Das Gemälde war bereits 33 Jahre alt! Wie konnte die Klavierspielerin denn vor einigen Tagen noch genauso ausgesehen haben, wie auf dem Gemälde? Alterte sie denn gar nicht?
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The Magician (boyXboy)
Fantasy(Boy x Boy) Ein dunkler Schleier der Hoffnung und Angst legte sich über den Tempel. Wen würde es treffen? Welche Gefahren würde dieser Weg bergen? Nur einer würde die Ehre zu Teil werden, doch über das Opfer, das erbracht werden musste, um mit erhob...