Das Schloss

1.9K 149 26
                                    

Die ganze Nacht bekam ich kein Auge zu, vergeudete meine Zeit damit aus dem Fenster auf das Schloss des Königs zu starren. Dort würde ich also den Rest meines Lebens verbringen...

Ich hatte Gerüchte gehört, dass der König die Frauen in sein Schloss aufnahm, deren Eltern die ärmsten des Dorfs waren, um ihnen dort ein besseres Leben zu ermöglichen. Aber meine Mutter war nicht die Ärmste Frau unseres Dorfes, daher schien diese Theorie nicht zutreffend zu sein. Andere hatten gesagt, dass der König ein einsamer alter Greis war, der seine Einsamkeit nur durch schöne junge Frauen ertragen konnte. Aber das glaubte ich nicht. Der König war ein nobler Mann. Er war sicher ein galanter Mann. Groß gewachsen, leuchtende Augen, ein liebevolles und herzliches Lächeln. Vielleicht war er um die Vierzig Jahre alt. Er würde sicher nett und barmherzig zu mir sein. Ich hoffte er würde so sein...

Ich spürte ein mulmiges Gefühl in mir aufkommen. Das hier war tatsächlich meine letzte Nacht in meinem Zuhause, in meinem Dorf. Die letzte Nacht in meinem alten Leben. Ich sah mich um. Es war auch das letzte mal, dass ich mein Zimmer sehen würde. Und auch wenn es eine große Ehre war, so kamen doch langsam Zweifel in mir auf. Ich wusste nicht, was mich im Schloss des Königs erwarten würde. Wieso war noch keine der Auserwählten bisher zurückgekehrt? Ich seufzte tief, so als könnte ich damit jegliche Sorge aus meinem Körper pusten. Bald konnte ich sie alle persönlich fragen. Schwermütig erhob ich mich von meinem Bett und lief durch den dunklen Raum hinüber zu dem kleinen Fenster. Am Horizont war der baldige Sonnenaufgang bereits zu erahnen. Die Zeit verging so beängstigend schnell. Mir war, als würden die Sekunden um die Wette laufen, als könnten sie gar nicht abwarten, dass ich aufbrechen müsste. Wo war ich da bloß hinein geraten? Eine Träne schlich still über meine Wange. Für einen kurzen Moment war es mein Wunsch gewesen auserwählt zu werden, doch nun bereute ich es. Nun fühlte ich mich nur noch so klein und verloren. Am liebsten hätte ich mich für immer versteckt. Irgendwann hätten sie mich sicher vergessen...

Wie ich es meiner Mutter versprochen hatte, lief ich erhobenen Hauptes und in meinen edelsten Anzug gekleidet zur Kutsche des Königs. Normalerweise wurden die Auserwählten mit einem berauschenden Fest verabschiedet. Das Volk bildete einen Gang und bereitete der Auserwählten ihren Weg mit fröhlichen Gesängen. Danach wurde den ganzen Tag gefeiert. Doch nun war niemand hier, außer meiner Mutter und niemand sang, außer meiner Mutter. Ich versuchte mir meine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen, doch als ich die Kutsche erreichte, vor der meine Mutter stand, spürte ich erneut diese tiefe Traurigkeit in mir aufkommen. Ich wollte sie umarmen, ihr sagen, dass ich sie Liebe und sie besuchen werde. Ihr versprechen ihr jeden Tag einen Brief zu schicken. Doch ich wusste, dass ich dazu nicht in der Lage sein würde. Ich musste jetzt stark sein. Für sie.

Die Lippen zusammenpressend, versuchte ich die Tränen weg zu blinzeln, die sich gerade in meinen Augen sammelten. Wie es sich gehörte verbeugten wir uns tief voreinander. Als ich mich wieder erhob, ergriff ich ihre Hand und küsste ihren Handrücken.

"Ich werde dich nicht enttäuschen und unserem König im Namen unseres Volkes die größte Ehre erweisen", sagte ich die Worte, die der Auserwählte zu seinen Eltern vor der Abreise zu sagen hatte.

Worte, die in diesem Augenblick jegliche Bedeutung für mich verloren hatten.

"Das hoffe ich...", flüsterte sie und strich mir kurz über die Wange, während sie mich mit ihren besorgten Augen eindringlich musterte

Ihr missfiel die Situation genauso sehr wie mir..

Dann musste ich einsteigen und mein mir bekanntes Leben für immer hinter mir lassen.

Die Fahrt über, versuchte ich meine Melancholie zu vergessen und mich auf mein Treffen mit dem König vorzubereiten. Was sollte ich sagen? Was würde er von mir hören wollen? Würde er mir die Fragen stellen oder musste ich als erstes sprechen?

The Magician (boyXboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt