In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Zu viele Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Ein König war gütig und um sein Volk besorgt. Alles was er tat, tat er im Sinne seiner Untertanen. Wieso jagte er mir bloß solch eine Angst ein? Wieso hatte ich nicht das Gefühl, dass er mir gut gesinnt war? So sehr ich es auch drehte und wendete, meine Empfindungen ergaben einfach keinen Sinn und ich kam zu keinem Ergebnis. Ob ich einmal mit der Klavierspielerin sprechen konnte? Falls sie wirklich eine der bisherigen Auserwählten war, konnte sie mir sicher meine Fragen beantworten. Der König selbst hatte ja eher in Rätseln gesprochen. Ich seufzte tief und drehte mich auf die Seite. Würde mir der König erlauben mit ihr Kontakt aufzunehmen?
Am nächsten Morgen weckte meine Zofe mich und geleitete mich zum Speisesaal, wo der König bereits frühstückte.
"Guten Morgen Miko", begrüßte er mich und nickte mir lächelnd zu.
"Guten Morgen Kiyan", antwortete ich leise und setzte mich.
Wie schon am Morgen zuvor, schwiegen wir das Frühstück über und als wir fertig waren, kam er wieder zu mir hinüber.
"Lass uns wohin gehen", flüsterte er mir leise zu und lächelte charmant.
"Und wohin genau?", wollte ich wissen.
"Das siehst du, wenn wir dort sind", antwortete er und piekste mit dem Zeigefinger in meine Wange.
Dafür, dass ich ihm noch eine Chance geben sollte, verhielt er sich nicht wirklich anders, als zuvor. Ich stand auf, er ergriff mein Handgelenk und zog mich hinter sich her, als wäre ich ein nerviges Anhängsel.
Nach einiger Zeit öffnete er eine Tür, hinter der sich eine Wendeltreppe aus Grafit erstreckte. Entschlossen stapfte der König Stufe für Stufe nach oben und somit gezwungenermaßen auch ich. Immer weiter folgten wir den Treppen nach oben. Ich spürte, wie mich langsam meine Kräfte verließen. Der König hatte ein ganz schönes Tempo drauf... Gerade, als ich stehen bleiben wollte, um nach Luft zu schnappen, da kamen wir an einer halb zerfallenen Holztür an. Unter lautem knarzen gab sie nach und wir traten ein.
Ich fand mich in einem großen Raum, voller mit einem weißen Tuch abgedeckter Möbel wieder. Die Decke war hochgezogen und wurde von Balken gestützt. An jeder der vier Wände, lag ein riesiges Kreisrundes Fenster. Langsam lief ich auf das, was mir gegenüber lag, zu und blickte nach draußen. Wir schienen im Dach des Turms zu sein. Die Aussicht war Atemberaubend! Ich konnte von hier über mein ganzes Dorf blicken. Ich sah das Verwaltungsgebäude, den Dorfplatz, sogar die Hütte meiner Mutter.
"Das ist unglaublich...", flüsterte ich verzückt.
Ich konnte meinen Blick nicht von dieser Aussicht nehmen, zu beeindruckend war sie für mich.
"Ich wusste, dass es dir gefallen würde", hörte ich den König sagen, während er sich mir näherte.
"Früher bin ich oft hierher gekommen, wenn ich mich vor meinen Pflichten verstecken wollte", erzählte er mir und ich meinte Nostalgie in seiner Stimme zu vernehmen.
Mein Blick wanderte vorsichtig zu ihm und ich musterte ihn von der Seite. Erst jetzt fiel mir auf, dass seine Mimik komplett verändert war. Er wirkte nicht mehr bedrohlich. Seine Gesichtszüge waren weich und auch seine Stimme klang verändert. Hatte er diese Seite von sich gemeint, als er sagte ich solle ihm noch eine Chance geben?
"Vermisst du sie sehr?", fragte er, da ihm mein sehnsüchtiger Blick zur Hütte meiner Mutter scheinbar nicht entgangen war.
"Sehr...", bestätigte ich seine Frage und spürte ein leichtes stechen in meinem Herzen. "Sie muss eine tolle Mutter sein", mutmaßte er und sah mich ernst an.
"Das ist sie... Und ich weiß, dass ich sie unheimlich enttäuscht habe..."
Das Stechen in meinem Herzen wurde stärker und ich spürte wie meine Unterlippe zu beben begann.
"Ich dachte, es sei eine Ehre für mein Volk auserwählt worden zu sein?", fragte er nach und seine Stimme klang etwas verbittert.
"Das ist es! Versteht mich nicht falsch Kiyan. Ich habe mich unglücklich ausgedrückt, verzeiht mir... Ich bin eine Enttäuschung für sie, weil ich ihren Erwartungen nicht entspreche und sie dank mir nun auch noch Probleme mit unserem Dorf bekommt...", erklärte ich.
"Was für Probleme?", fragte der König weiter.
"Die Last die Mutter des ersten männlichen Auserwählten zu sein. Mein Dorf wird sie zum Sündenbock machen und ihren Zorn an ihr auslassen."
Bei dem Gedanken daran wurde mir übel. Sie hatte so viel geopfert, um mich groß zu ziehen und ich dankte es ihr mit dieser Unzulänglichkeit.
"Ich wusste nicht, dass mein Handeln solche Folgen haben würde...", gab der König zu und klang ziemlich betroffen.
Überrascht sah ich ihn an und tatsächlich, er sah wirklich so aus, als würde es ihm nah gehen.
Eine ganze Zeit standen wir einfach nur da, sahen schweigend in die Ferne. Dann erinnerte ich mich an meinen Gedanken von heute Nacht.
"Darf ich Euch um etwas bitten?", fragte ich leise, ohne ihn anzusehen.
"Aber Natürlich", erlaubte mir der König und blickte erwartungsvoll zu mir.
"Wäre es Möglich, dass ich mich mit der Klavierspielerin von gestern unterhalte?"
Seine Miene verfinsterte sich und er blickte zurück aus dem Fenster.
"Weswegen?", wollte er dann wissen.
"Ich wollte sie etwas fragen."
Er schwieg eine Weile und starrte grüblerisch vor sich hin.
"Das wird nicht möglich sein", sagte er dann.
"Darf ich erfahren wieso?", erkundigte ich mich vorsichtig.
"Was auch immer du sie fragen willst, sie kann es dir nicht beantworten."
Er drehte dem Fenster seinen Rücken zu und sah mir ins Gesicht.
"Wir sollten gehen. Ich habe noch einiges zu erledigen", teilte er mir mit und lief auf die Tür zu.
Ich warf einen letzten Blick auf mein Zuhause, ehe ich ihm folgte.
Für den Rest des Tages sah ich den König nicht mehr. Beim Abendessen teilte man mir mit, dass er ein paar Dinge zu regeln hatte, doch keiner konnte oder wollte mir näheres sagen.
Am nächsten Morgen erzählte man mir das gleiche und auch am darauf folgenden Tag hieß es, der König sei zu beschäftigt, um mir Gesellschaft zu leisten. Die Anspannung meiner Zofe, wenn sie mir diese Nachricht überbrachte, besorgte mich. Ohne die Zuneigung des Königs, bemerkte ich zudem wie einsam ich eigentlich war in diesem riesigen Schloss, unter lauter fremden. Wo war er bloß? Hatte ich ihn mit meiner Bitte verletzt gehabt?

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The Magician (boyXboy)
Fantasy(Boy x Boy) Ein dunkler Schleier der Hoffnung und Angst legte sich über den Tempel. Wen würde es treffen? Welche Gefahren würde dieser Weg bergen? Nur einer würde die Ehre zu Teil werden, doch über das Opfer, das erbracht werden musste, um mit erhob...