Mika

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Einzelne Sonnenstrahlen fielen schon in die Gitterbox, in der ich noch immer dastand und den Schlaf des Mädchens bewachte. Ich konnte dieses Gefühl nicht erklären, aber irgendwie spürte ich, dass sie mich verstand. War sie etwa meine ... ?

Bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, hörte ich etwas bei den Gitterstäben und wollte mich umdrehen. Da ertönte ein Schuss und in Sekundenschnelle traf mich ein Betäubungspfeil an der Schulter. Ich stöhnte auf. Die Betäubung war diesmal so heftig, dass sie mich auf die Knie zwang und ich schwer zu Boden sackte.

Im gleichen Moment war das Mädchen bei mir "Hey, was soll das? Was haben Sie mit ihm gemacht?" rief sie, als sie neben mir auf die Knie fiel. "Keine Sorge, ist nur eine Betäubung. Ich bin Dr. Anders, der Tierarzt." hörte ich eine Stimme.

Nun kam ein Mann mit kurzen braunen Haaren in mein Sichtfeld. Er packte das Mädchen und zog sie in die Stallgasse hinaus. Schwach quietschte ich "Lass sie in Ruhe!". Meine Sicht verschwamm vor meinen Augen.

Nun kam Dr. Anders zu mir zurück und und begann, mich zu untersuchen. Das war mir nicht geheuer, aber ich konnte mich nicht aufrichten. Von der Stallgasse nahm ich noch Maria Kaltenbachs eindringliche Stimme wahr "Mika. Dieses Pferd ist gefährlich!"

Das war das letzte, was ich hörte, bevor ich das Bewusstsein verlor.

Als ich ein paar Stunden später wieder zu mir kam, war alles ruhig. Die Menschen waren verschwunden und ich war allein. Ich kämpfte mich wackelig auf die Beine und trank etwas bei der Tränke. Diese Betäubung hatte mich richtig ausgeknockt.

Nun kam mir das Mädchen wieder in den Sinn. Warte, Frau Kaltenbach hatte doch ihren Namen gesagt. Maja ... Mia ... Mika! Sie hieß Mika! Der Name passte zu ihr.

Aber wo war sie? Ging es ihr gut? Wie lange war sie schon weg? Ich begann zu wiehern, doch es geschah nichts. Nach einer Weile gab ich auf. Ich war mir ohnehin sicher, dass ich sie früher oder später wiedersehen würde.

Stunden später hörte ich schnelle Schritte und Mika tauchte vor meiner Box auf. Ich stand ganz hinten in meinem Verschlag und hatte sie noch nicht bemerkt. "Was hast du nur angestellt?" fragte sie leise. Erschrocken warf ich den Kopf hoch und wieherte drohend, aber als ich merkte, dass sie es war, beruhigte ich mich gleich wieder. Es war total verrückt, aber in Mikas Nähe fühlte ich mich sicher.

Nun schob sie ihre ausgestreckte Hand durch die Gitterstäbe. Mama hatte mir erzählt, dass diese Geste bedeutete, dass der Mensch ein Freund sein wollte, aber mit der Zustimmung des Pferdes. Jetzt lag es an mir. Wollte ich den Horizont erweitern und eine Freundschaft mit diesem Mädchen eingehen? Ich kannte sie doch kaum! Doch dann erinnerte ich mich, wie sie gestern Nacht auf den Heuballen eingeschlafen war, voller Vertrauen, dass ich ihr nichts tun würde. Sie vertraute mir. Und ich vertraute ihr. Ja, ich wollte Mikas Freund sein.

Von meinem Herzen geführt ging ich deshalb auf sie zu und legte behutsam meine Nase in ihre Hand. Ihre Finger fühlten sich warm an und sie gab mir einmal mehr das Gefühl der Sicherheit. Zum ersten Mal ließ ich es zu, dass mich ein Mensch berührte. In diesem Moment kam es mir vor, als gäbe es nur noch Mika und mich. Ich hätte zu gerne die Zeit angehalten. "Wie siehst du denn aus?" fragte sie schockiert, als ich ins helle Licht trat und sie mein schmutziges Fell sah.

"Mika?" hörte ich Sam auf einmal nach meiner Freundin rufen. Diese zog erschrocken die Hand zurück und lief rasch aus dem Stall. Enttäuscht wandte ich mich ab und scharrte mit meinen Hufen im Stroh.

Ein paar Minuten später sah ich Mika und Sam mit einer Schubkarre in der Stallgasse stehen und Mika kam mit einem Futtereimer in den Händen und einem breiten Lächeln auf dem Gesicht auf mich zu. Doch Sam hielt sie auf "Wo willst du hin?" "Na zu ihm." meinte Mika und deutete auf mich. Schnell schob Sam sich vor sie, nahm ihr den Eimer ab und sagte "Das mach ich."
"Warum denn?" wollte Mika wissen, doch er gab ihr keine Antwort.

Langsam ging er auf meine Box zu. Ich bemerkte, wie er immer nervöser wurde und das wiederum machte mir Angst. Wir Pferde fühlten alles, was andere fühlten. Als Sam schließlich panisch vor meinem Verschlag stand, wollte ich fliehen, aber die Wände hielten mich gefangen. Ich suchte nach einem Ausweg, stieg und schlug verzweifelt um mich. Unterdessen hatte Sam das Futter in die Eimervorrichtung geschüttet und ließ es nun mit einem Seil in meinen Trog fallen.

Als er zu Mika zurück ging, beruhigte ich mich langsam wieder. Da hörte ich Mikas Satz "Ja, er will da nicht eingesperrt sein!". Überrascht, dass sie das erkannt hatte, hob ich den Kopf und sah sie mit Sam diskutieren. Irgendwann packte er mit finsterer Miene die Schubkarre und ging an ihr vorbei. Mika blickte nun wieder zu mir. Ich sah sie fragend an und sie lächelte.
"Ich komm wieder." versprach sie mir leise, bevor sie Sam folgte.

Dieser Satz beruhigte mich und ich konnte nun ohne Sorge fressen.

Ostwinds Sicht - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt