Die Flucht

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Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Immer wieder wanderten meine Gedanken zu Michelle und den Gamaschen. Ich war mir sicher, dass sie etwas damit zu tun hatte.

Auf einmal hörte ich Schritte, die schnell die Stallgasse durchquerten. Vor den Gitterstäben erschien ... Mika! Sofort drehte ich mich zu ihr und wollte mich bei ihr entschuldigen, aber sie schob nur hastig die Tür auf und ergriff meine Zügel.

"Ostwind, wir müssen hier weg! Oma will dich dem Ungarn geben, er ist schon hier! Ich weiß, dass es nicht deine Schuld war, aber wir müssen jetzt verschwinden!"

Ich war froh zu hören, dass meine Seelenverwandte nicht wütend auf mich war und ging brav mit, als ich hinter ihr in die Stallgasse trat. Vorher stellte sie aber noch ihre braunen Lederreitstiefel ins Stroh und schloss die Tür. Dann eilten wir hinaus und rasch um die Ecke. Zum Glück war gerade niemand auf dem Hof zu sehen.

Mika schwang sich auf meinen Rücken und ich galoppierte los, weg vom Gestüt, wo mich niemand haben wollte. Ich schoss mit meiner Freundin am Waldrand vorbei, sie beugte sich tief über meinen Hals und wir entfernten uns immer weiter von Kaltenbach.

Nach ungefähr 15 Kilometern blieb ich schließlich keuchend stehen. Mika sprang aus dem Sattel und führte mich zu einer kleinen Hütte. Wir waren Irgendwo im Nirgendwo und ich folgte ihr erschöpft in die Hütte. Sie war gerade groß genug für Mika und mich. Ich legte mich hin und meine Freundin schloss die Tür hinter uns.

"Hier sind wir erst mal sicher." meinte sie und streichelte meinen Kopf. "Keine Sorge, ich lasse nicht zu, dass sie uns trennen. Ich weiß, dass irgendwas nicht in Ordnung war und das keine Absicht war. Sam ist im Krankenhaus, er wird dort behandelt."

Gott sei Dank wusste sie, dass ich das alles nicht gewollt hatte. Ich war so froh, dass sie mit mir geflohen war. Wenn dieser Ungar mich mitgenommen hätte, hätte ich Mika nie wieder gesehen. Das hätte ich nicht überstanden.

Nun legte sich meine Seelenverwandte neben mich und schlief ein. Ich schloss ebenfalls die Augen und nach ein paar Minuten war auch ich eingeschlafen.

Am nächsten Morgen wachte ich auf, als Mika mich weckte "Ostwind, wir müssen los.". Ich kam auf die Beine und schüttelte mich. Die Ereignisse von gestern erschienen mir wie ein Traum. Aber wohin wollte meine Freundin? Man suchte uns sicherlich schon!

Wieder einmal verstand Mika meine Gedanken und sagte "Wir müssen zu Fanny, meiner besten Freundin. Sie ist an der Nordsee am Meer. Dort werden sie uns nicht finden."

Verstehend stellte ich die Ohren auf und folgte meiner Seelenverwandten nach draußen. Dort schwang sie sich in den Sattel und wir machten uns auf den Weg.

Es ging vorbei an zahlreichen Straßen, bis wir schließlich auf der Autobahn landeten. Dort telefonierte Mika anscheinend mit Fanny. Autos brausten an uns vorbei und Mika hatte alle Mühe, ihre Freundin zu verstehen. Stunden vergingen und es wurde dunkel. Nach einer Weile verließen wir die Schnellstraße und kamen zu einer Tankstelle. Meine Freundin band mich draußen an und kam nach ein paar Minuten mit Wasserflaschen zurück. Diese schüttete sie in eine Schüssel und stellte sie vor mich. Dankend trank ich daraus. Ich hatte großen Durst.

Nachdem ich getrunken hatte, führte Mika mich zu einer Wiese und ich legte mich erschöpft nieder. Meine Seelenverwandte legte sich zu mir und wir schwebten beide ins Land der Träume.

Am nächsten Morgen ging die Reise weiter durch einen Wald, an zahlreichen Wiesen und Feldern vorbei. Auf einmal legte sich Mika auf meinen Hals und schlief einfach ein. Sie vertraute darauf, dass ich sie zum Ziel brachte. Dieses Gefühl machte mich stolz. Stundenlang trug ich meine Freundin durch die Gegend, über Wiesen und Felder hinweg. Ich passte auf Mika auf.

Ich ging gerade einen Hügel hoch, als vor mir eine endlos weite blaue Wasserfläche erschien. Es rauschte laut und Möwen kreischten. Wir waren da! Ich wieherte leise und meine Freundin richtete sich auf. Als sie das Meer vor uns sah, grinste sie breit. "Ich glaub, wir sind da!" meinte sie. Wir hatten es geschafft. Hier würde man uns nicht finden. Gemeinsam sahen wir auf die glitzernden Wellen hinaus.

Ostwinds Sicht - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt