Kapitel 2

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Ich hatte gerade die Ölfarben zurück an ihren Platz geräumt, als etwas durch mein Fenster geflogen kam und vor mir auf dem Boden liegen blieb. Es war ein in grünes Papier gewickeltes Bonbon, wie ich bei genauerer Betrachtung feststellte. Gerade wollte ich ans Fenster treten, um zu sehen, wer mir Süßigkeiten ins Zimmer warf - nicht, dass ich mich beschweren wollte, aber merkwürdig fand ich es schon- da traf mich ein zweites Bonbon an der Schulter. Erschrocken schrie ich auf.

"Alles okay da oben?", rief jemand von unten.

Geistesgegenwärtig rieb ich mir über die Stirn, während ich fieberhaft überlegte, was er hier machte. Es war doch noch nicht Samstag, oder? Nein, heute war ganz sicher Freitag, deshalb war Mama ja bei der Arbeit. Schnell trat ich ans Fenster, bevor er noch mehr Zuckerzeug nach mir werfen konnte.

"Normale Menschen benutzen die Klingel", brummte ich und schaute zu ihm runter.

Er hatte einen Rucksack auf und hielt eine riesige Tüte Bonbons in der Hand.

"Ich hoffe, die willst du nicht alle nach mir werfen", sagte ich trocken und deutete vage in seine Richtung.

"Nicht wenn du mich vorher reinlässt."

"Was willst du überhaupt hier?"

"Deine nette Gesellschaft genießen natürlich."

"Einfach so?", fragte ich misstrauisch.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Bokuto und ich je einfach so zusammen abgehangen hatten. Wir teilten uns einen Schulweg, der aus einer halbstündige Bahnfahrt und zehn Minuten Fußweg bestand, aber nach der Schule schaffte ich es meistens kaum, meine Hausaufgaben zu machen, bevor ich müde ins Bett fiel. Manchmal ging ich auch extra früh ins Bett, um morgens vor der Schule noch mit Ivana telefonieren zu können, dazwischen blieb nicht viel Zeit, sich mit Klassenkameraden zu treffen.

Bokuto schaute mit schiefgelegtem Kopf zu mir hoch: "Darf ich nicht einfach so was mit dir machen wollen?"

Ich seufzte tief auf.

"Also gut, gib mir fünf Minuten."

Ich brauchte mich nicht im Spiegel anschauen, um zu wissen, was für einen Anblick ich abgab: ein fleckiges, löchriges Shirt, das ich immer zum Malen anhatte und das auch entsprechend aussah hing an mir wie ein Kartoffelsack, ich hatte Farbe in den Haaren und meine Arme waren bunt getupft. Ich beschloss, dass Haut und Haare warten mussten und zog nur ein sauberes T-Shirt an, bevor ich die Treppe hinunterlief und die Haustür aufriss. Bokuto stand bereits davor und blickte verträumt die Klingel an.

"Hey hey hey", sagte er zur Begrüßung und hielt mir die Bonbons hin.

Unwillkürlich musste ich lächeln, irgendwie war es ja schon süß, dass er vorbeikam und sogar Süßkram mitbrachte.

"Du hast Farbe im Gesicht", stellte er fest und deutete auf meine Stirn, "Hast du gemalt?"

"Ja, den ganzen Tag. Als ich weg war hab ich so viele Entwürfe gemacht und die müssen jetzt alle auf Leinwand gebracht werden."

"Du siehst selbst aus wie eine Leinwand", kommentierte er mein bunt getupftes Äußeres.

Ich hielt kurz inne und dachte über seine Worte nach.

"Das ist ehrlich gesagt eine tolle Idee. Darf ich auf dir malen?"

"Bitte was?"

"Na, du hast mich schon richtig verstanden."

In Bokutos Gesicht zeichnete sich die Überforderung ab, diesen Gesichtsausdruck kannte ich aus Mathe und ich hatte schon oft gedacht, dass er sich mit ein bisschen Verständnis seitens unserer Lehrer leicht vertreiben ließe.

Man sagt doch, Eulen seien weise  ✔ [Bokuto Kotaro, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt