Kapitel 5

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Der Geruch von Desinfektionsmittel hing mir selbst dann noch nach, als wir bereits lange wieder im Auto saßen. Mama hatte mich, kaum dass sie daheim gewesen war und ich ihr erklärt hatte, ich sei über eine Treppenstufe gestolpert, ins Auto verfrachtet und ins Krankenhaus gefahren. Während ein junger Arzt meinen Knöchel untersucht und mich anschließend geröntgt hatte, war ich in Gedanken sehr weit entfernt gewesen und hatte alles kommentarlos über mich ergehen lassen, auch wenn er mich manchmal ein wenig zu grob angefasst hatte. Er hatte mir eine kühlende Creme mitgegeben, die gegen die Schwellung helfen sollte und geschwollen war mein Knöchel wirklich. Wie eine Pflaume und fast genauso blau, wirklich nicht schön zum Angucken.

Neben der Creme hatte er mir auch eine Schiene angelegt, die ich die nächsten Wochen tragen sollte, um den Fuß ruhig zu halten. Dazu auch noch Krücken, mit denen ich die nächste Zeit gehen sollte, um den Knöchel zu entlasten. Auf der Rückfahrt knabberte ich gedankenverloren an meinem Brillenbügel herum. Der Arzt hatte sich deutlich ausgedrückt, als er sagte, dass ich die nächsten Wochen keinen Sport machen sollte.

Die Saison war damit also gelaufen. Jetzt musste ich das nur noch dem Team klarmachen. Bisher hatte ich kein einziges Spiel verpasst, seit ich auf der Oberschule war und hatte dem Team immer verlässlich den Rücken gestärkt, selbst als ich noch nicht auf dem Platz gestanden hatte. Jetzt würde ich es wieder von der Seitenlinie aus tun müssen. Ich hoffte inständig, wir würden einen Ersatz finden, denn von den anderen Spielerinnen hatte kaum eine Erfahrung als Torfrau.

Bisher hatte meine Mutter die gesamte Fahrt über geschwiegen und auch im Krankenhaus war sie ungewöhnlich wortkarg gewesen, doch jetzt zog sie mir unwirsch die Brille aus dem Mund.

"Mann Fee, was machst du nur für Sachen?"

Sie klang weder wütend, noch enttäuscht, sondern einfach nur erschöpft und wie könnte ich es ihr verübeln? Schließlich arbeitete sie hart und musste sich gleichzeitig um zwei Haushalte kümmern, um unseren und den meines Großvaters.

"Selbst ich muss ja irgendwann mal ein bisschen Pech haben, oder?"

Ich setzte mir die Brille auf die Nase, nur um festzustellen, dass das Glas voller Fingerabdrücke war. Sie seufzte.

"Ich hoffe, du hast dein Kontingent jetzt erstmal erschöpft."

Wenn ich meinem Bauchgefühl vertrauen konnte, dann war eher das Gegenteil der Fall und als wir in unsere Einfahrt abbogen und ich Bokuto auf der Treppe zu unserer Haustür entdeckte, fühlte ich mich in meinem Verdacht bestätigt. Ich hatte irgendwann in der Mittagspause eine Nachricht von Shirofuku erhalten, in der sie sich nach mir erkundigte, sonst hatte sich niemand gemeldet. Meine engeren Freunde hatten mich vermutlich beim Fußballtraining vermisst, aber es war nicht ungewöhnlich, dass mal jemand fehlte. Langsam, um den Moment hinauszuzögern, kletterte ich aus dem Auto.

Meine Mutter, die Bokuto bisher offenbar nicht bemerkt hatte, sonst hätte sie mir längst einige peinliche Fragen gestellt, reichte mir die Krücken von der Rückbank. Keine zwei Sekunden später stand Bokuto vor mir und das Herz rutschte mir in die Hose. Ich konnte mich nicht so recht entscheiden, ob ich nun wütend auf ihn war, weil er sich nicht gemeldet hatte, oder erleichtert, weil er jetzt vor mir stand. Meine Mutter warf mir, entgegen aller Erwartungen nur einen fragenden Blick zu und als ich nickte, verschwand sie im Haus.

"Hey", sagte ich schließlich, als mir die Stille zu peinlich wurde.

"Was ist passiert?", fragte er und deutete auf meinen Fuß.

"Ach", winkte ich ab, "ein angerissenes Außenband, der Arzt sagt, in ein paar Wochen bin ich wieder fit."

Ich biss mir auf die Unterlippe. Gerade eben hatte ich mir noch gewünscht, dass er sich wenigstens ein kleines Bisschen schlecht fühlte, weil er mich gestern alleine gelassen hatte. Doch jetzt, wo er vor mir stand, suchte ich vergeblich nach der Wut und Enttäuschung, die ich bis gerade eben empfunden hatte.

Man sagt doch, Eulen seien weise  ✔ [Bokuto Kotaro, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt