Kapitel 7

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Es war Freitagabend und ich versuchte schon seit mindestens einer Stunde verzweifelt, die Anatomie eines Hundes hinzubekommen. Leider schwankte sein Aussehen zwischen fettem Alien und haarigem Insekt, nur der Kopf sah halbwegs realistisch aus. Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft ich dem unförmigen Vierbeiner schon mit dem Radiergummi zu leibe gerückt war, während ich zunehmend aggressiver die deutschen Liedtexte mitsang.

Meistens bekam ich von den Trends dort nichts mit, aber Ivana versorgte mich regelmäßig mit guter Musik und ich war ein ums andere Mal fasziniert, was man mit Sprache alles anstellen konnte. Leider konnte ich mich im Japanischen einfach nicht so gut ausdrücken, weshalb ich immer das Gefühl hatte, manchmal nicht das sagen zu können, was ich meinte.

Als meine Mutter nach mir rief, pausierte ich die Musik und humpelte noch mit dem Lied auf den Lippen die Treppe hinunter.

"Dein Großvater hat gerade angerufen."

Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe und ein erschöpfter Zug hatte sich in ihr sonst so jugendlichen Züge geschlichen. Ich wusste schon, was kommen würde. Er hatte sie wieder wegen irgendeiner Kleinigkeit angerufen und sie würde wie immer nach seiner Pfeife tanzen, sich sofort ins Auto setzen und zu ihm fahren. Manchmal konnte ich wirklich nicht fassen, wie selbstlos meine Mutter war. Ich zwang mich zu einem Lächeln und wartete, bis sie fortfuhr.

"Er hat gesagt, es gäbe irgendein Problem mit dem Rohr unter dem Waschbecken in der Küche. Ich werde hinfahren und mir das ansehen. Du weißt, dass du mich anrufen kannst, wenn irgendwas sein sollte, meine Fee?"

Eifrig nickte ich und kurz darauf lauschte ich, wie die Reifen ihres Wagens über den Schotter in unserer Einfahrt knirschten. Eigentlich hatte ich soeben den Appetit verloren, beschloss aber dennoch in Ermangelung einer Alternative etwas zu kochen.

Ich hatte frische Spätzle gemacht, die mich unweigerlich an Papa erinnerten. Einmal hatte er mitbekommen, wie eine Frau ihr Kind "Spätzchen" gerufen hatte und er hatte das sehr süß gefunden. Leider hatte er so seine Probleme mit einigen deutschen Lauten und so war aus einem niedlichen "Spätzchen" ein weniger niedliches "Spätzle" geworden. Wir hatten früher ständig zusammen Spätzle gemacht und kurz vor seinem Tod hatte ich zum ersten Mal erfolgreich die Spätzlepresse benutzt.

Es war immer noch eines meiner Lieblingsessen, aber ich aß es inzwischen nur noch, wenn ich alleine war und mir niemand beim Weinen zusehen konnte. Heute weinte ich allerdings nicht nur, weil ich meinen Vater verloren hatte, sondern weil es sich so anfühlte, als würde ich auch langsam meine Mutter verlieren. Ich kam mir verloren in dem Haus vor, das eigentlich mein Zuhause sein sollte und ich hasste mich dafür.

Als es an der Tür klingelte, ignorierte ich es zunächst ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wer wohl davor stand. Nachdem der Klingler allerdings auch zwei Minuten später nicht aufgegeben hatte, schleppte ich mich zur Tür. Fahrig wischte ich mir die Tränen von den Wangen und atmete tief durch, bevor ich öffnete.

Meine Augen wurden groß, als ich Bokuto erblickte, bepackt mit allem möglichen Knabberzeug stand er vor der Tür und es dauerte einige Momente, bevor er aufhörte, auf die Klingel zu drücken.

"Wenn ich die Klingel benutze, brauchst du viel länger um Aufzumachen. Nächstes Mal werfe ich wieder was gegen dein Fenster."

Ich konnte ihn noch immer einfach nur anstarren. Eigentlich hatte ich mich bereits auf einen Abend eingestellt, an dem ich im Selbstmitleid versinken und mich mit Süßkram vollstopfen konnte.

"Was- was machst du hier?", brachte ich schließlich hervor und hoffte, dass sich meine Stimme nicht mehr so brüchig anhörte.

Ich hatte keine Lust, heute mit ihm über meine Probleme zu sprechen und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er es unkommentiert lassen würde, wenn er erst einmal bemerkte, dass ich geweint hatte.

Man sagt doch, Eulen seien weise  ✔ [Bokuto Kotaro, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt